Am 15. März erklärte der Nationale Sicherheitsrat der Ukraine, dass alle Straßenverbindungen und Schienenwege zu den durch die Ukraine nicht kontrollierten Gebieten des Donbass für den Warenverkehr gesperrt würden. Die Nationalgarde und die Polizei exekutierten diesen Beschluss. Wie konnte es zu dieser neuen Eskalation des Konflikts kommen? Welche Konsequenzen sind zu erwarten?

Unmittelbar ist diese Maßnahme eine Reaktion auf die "Verstaatlichung" von 40 ukrainischen Unternehmen in den besetzten Gebieten, unter anderem Kohlengruben, die dem ansonsten bei der regierenden Partei nicht so beliebten Oligarchen Rinat Achmetow gehören. Allerdings zahlte dieser bisher Steuern auf die Gewinne seiner Betriebe in diesen Gebieten an die Zentralregierung in Kiew und nicht an die Separatisten. Die administrative Unterstellung der Betriebe Achmetows unter die Rebellen in Lugansk und Donezk wurde Anfang März vollzogen.

Blockade der Kohlentransporte

Wie das aber in solchen Konflikten ist, lässt sich der Anlass für diese erneute Drehung an der Konfrontationsspirale nicht so einfach feststellen. Die Entscheidung in Donezk und Lugansk war nämlich ihrerseits eine Reaktion auf die Blockade der Kohletransporte aus den Gruben in den Separatistengebieten in die Kraftwerke der Ukraine ab Ende Januar. Nationalistische Aktivisten wollten damit ihren Protest gegen die Kohlelieferungen ausdrücken, weil die Erlöse der Kohleverkäufe die Separatisten finanzieren halfen. Am 28. Januar hatte "Radio Free Europe" gemeldet, dass ehemalige Freiwillige der Antiterroroperation (gegen die Separatisten) die Eisenbahnlinien blockiert hatten und zwar auf unbestimmte Zeit¹.

Voldymyr Parasyuk, Abgeordneter des ukrainischen Parlaments.
Foto: Reuters/Vitaliy Nosach

Diese Information stammte von Volodymyr Parasyuk, einem Abgeordneten des Parlaments für eine dem Oligarchen Ihor Kolomoyskyi nahestehende nationalistische Gruppierung UKROP. Das ist jener Parasyuk, der als Führer einer Hundertschaft des Maidan im Februar 2014 nach Abschluss einer Übereinkunft zwischen dem damaligen Präsidenten und der Opposition unter Schirmherrschaft Frankreichs, Deutschlands und Polens drohte den Präsidentenpalast zu stürmen, wenn Wiktor Janukowytsch nicht sofort zurücktritt. Er hat also schon Erfahrungen in der Anheizung eines Konflikts.

Die Regierung und der Präsident konnten oder wollten offenbar diese Gruppen nicht politisch dazu bewegen, die Blockade, die auch der ukrainischen Wirtschaft schadete, aufzuheben. Nach circa zwei Wochen, am 17. Februar, kündigte sie Notstandmaßnahmen wie zeitweilige Stromabschaltungen an, die durch den Mangel an Kohle in den Kraftwerken erforderlich waren. Natürlich schnitten die ausbleibenden Erlöse für die Kohle auch der Separatistenverwaltung ins Fleisch, und sie setzte der ukrainischen Regierung ein Ultimatum. Als jene nicht reagierte, wurde "verstaatlicht".

Das Gewaltmonopol des Staates funktioniert nicht mehr

Ungeachtet der wirtschaftlichen Aspekte des Problems muss man jedoch feststellen, dass es ungewöhnlich ist, wenn eine Regierung sich durch nationalistische Minderheiten diktieren lässt, welche Politik sie betreibt. Das ist ein Zeichen dafür, dass das Gewaltmonopol des Staates nicht mehr funktioniert. Die Blockade der Kohlelieferungen wurde – wie aus einem Bericht in der NZZ vom 15. März hervorgeht – erst am 14.März aufgehoben, um dann aber gleich am nächsten Tag eine eigene Blockade des Handels einzuführen. Die NZZ meint dazu: "In der Tat war die Blockade durch ehemalige Frontkämpfer und Aktivisten aus der ukrainischen Zivilgesellschaft in der Bevölkerung populär gewesen, weil der Handel mit dem Feind als 'Blutgeschäft' abgelehnt wird. Kiew fürchtete wohl größere Unruhen."

Eine der vielen blockierten Eisenbahntrassen in Donezk.
Foto: Apa/Aleksey Filippov

Die Politik kann also nicht vor und nicht zurück. Der Handel mit den Separatistengebieten ist aus populärem nationalistischem Narrativ heraus ein Handel mit "dem Feind". Das größte Problem des unterbundenen Handels besteht aber nicht darin, dass so immer noch die Kohle für Stromerzeugung und Stahlwerke in der Ukraine fehlt, sondern in dem Schaden, der aus der Unterbrechung des Handels zwischen dem Staat und seinem abgetrennten Teil dadurch entsteht, dass die in den besetzten Gebieten lebenden Ukrainer völlig von wirtschaftlichen Beziehungen mit Russland abhängig werden.

So wird immer schwieriger, die Wunde zu heilen, die in der ukrainischen Gesellschaft aufgerissen wurde. Nachdem schon Löhne für die Angestellten in den staatlichen Einrichtungen der besetzten Gebiete und die Renten für die dort lebenden Ukrainer nicht mehr gezahlt werden und die Banken in Donezk und Lugansk vom ukrainischen Geldverkehr abgeschnitten sind, wird nun auch noch jeglicher Handel unterbunden.

Die Konfrontationsspirale

Aus einem Bericht in der russischsprachigen ukrainischen Zeitung "Segodnja" vom 17. März entnehme ich eine Äußerung des ukrainischen Präsidenten, welche die verfahrene Situation uns gut vor Augen führt: "Wir sagen: wir werden die Betriebe den ukrainischen Eigentümern zurückgeben … Erfüllt ihr den ersten und den zweiten Punkt des Minsker Abkommens – Feuereinstellung und Abzug der schweren Waffen und der Artillerie und wir beenden die Beschränkungen des Güterverkehrs über die Linie der Konfrontation".

In Falle einer Konfrontationsspirale ist es aber leider – wie man gesehen hat – nicht ganz einfach festzustellen, wann zuerst an ihr gedreht wurde, wer die Verantwortung für die Eskalation trägt. Und nur auf die andere Seite zu zeigen, mag als Unterstützung nationalistischer Gefühle ausreichend sein, aber ist es nicht für die Suche nach einer Friedenslösung. Vielleicht zeigen solche Aussagen und Entscheidungen Petro Poroschenkos aber auch nur, dass nicht nur die russische Seite sondern nunmehr auch die ukrainische sich auf einen eingefrorenen Konflikt eingerichtet hat. Wenn nun noch – wie im Konflikt zwischen Transnistrien und Moldova oder dem zwischen Südossetien und Georgien – die Waffen tatsächlich schweigen würden, wäre das vielleicht auch eine erträgliche Lösung für die circa drei Millionen Ukrainer in den Separatistengebieten des Donbass und für die Menschen in den davorliegenden Grenzgebieten der übrigen Ukraine.

"Klotz am Bein"

Der Kommentator in der NZZ sieht es aus wirtschaftlichem Kalkül ähnlich: "Anders gelagert ist die längerfristige Frage, ob Kiew überhaupt auf ein Wiedererlangen des Donbass hinarbeiten soll. Aus wirtschaftlicher Sicht erscheint das nicht als attraktiv. … Viele Beobachter sehen den Donbass deshalb als Klotz am Bein und empfehlen, sich mit dem Verlust des Territoriums abzufinden. Freilich widerspricht das der Regierungslinie und auch dem Nationalstolz vieler Ukrainer."² (Dieter Segert, 29.3. 2017)

¹ Protesters vow to indefinitely block Rail lines to Eastern Ukraine (RadioFreeEurope/RadioLiberty)

² Kiew stoppt den Handel mit den Separatisten (NZZ online)

Dieter Segert ist seit 2005 Universitätsprofessor für Transformationsprozesse in Mittel-, Südost- und Osteuropa am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Homepage von Dieter Segert