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In Sarajevo, aber auch im Rest von Bosnien-Herzegowina wird auf den Namen geschaut.

Foto: REUTERS/Dado Ruvic

"Ich heiße ab jetzt Jamie", sagt Senada. "Jamie, willkommen, dobrodošli in deiner neuen Welt!", antworte ich. "Weißt du", sagt sie, "unsere Namen sind alles kleine Gefängnisse, in denen wir leben und mit denen wir nicht verreisen können, nicht einmal im eigenen Land. Wenn ich nur da hinauffahre, nach Doboj, diese 160 Kilometer, dann bin ich mit diesem Senada-Namen schon eine andere Senada als hier. Dann reden sie anders, oder sie sagen etwas nicht, was sie sonst sagen würden, wenn sie hören, wie ich heiße. Und wenn die da herunterkommen, dann geht es ihnen genauso hier."

Wir sitzen beim Dinner, wir sind wieder einmal beim unvermeidlichen Thema. Wir mögen dieses Thema nicht, weil wir ihm nicht entfliehen können, und wir mögen dieses Thema nicht, weil wir uns nicht zu helfen wissen. Denn gegen Namen hilft nichts.

"Wir sollten alle unsere Namen tauschen"

"Die Menschen in Bosnien-Herzegowina werden mit ihren Namen, ihren muslimischen oder orthodoxen oder katholischen Namen wie in Panzer gesteckt, sie werden angeblichen Völkern zugerechnet, die nur Religionen sind und die dauernd vorgeben, mehr zu sein, als sie überhaupt sein dürften", sagt Milomir. "Wir sollten alle unsere Namen tauschen, Du bekommst meinen, ich bekomme deinen. Wir sollten so lange Namen tauschen, bis keiner mehr weiß, wie er heißt!" Wir lachen. Wir wissen, dass die Familien das nicht akzeptieren werden, dass sie den gleichen Argwohn weiter hegen wollen, wie sie ihn schon lange hegen: gegen die anderen. Wir wissen, dass sie nicht vergessen können, wie die Großmutter hieß und ob der Großvater in die Moschee ging oder in die Kirche.

Ante hat eine Idee: "Jeder Bosnier kann einen kostenlosen DNA-Test machen, und am Ende werden alle verwundert sein, dass es diese angeblichen Ethnien in dieser Form gar nicht gibt." Ante hat leicht reden, er sieht aus wie ein Wikinger, und wir glauben alle schon lange, dass er uns etwas verschwiegen hat und sein Papa ein Däne ist. "Ja super, und dann kommt heraus, dass wir alle Illyrer sind und du ein Wikinger!", sagt Senada. Vielleicht helfen am Ende gegen Ethno-Gefängnisse aber wirklich nur spröde Fakten, denke ich.

"Du glaubst also, es stimmt gar nichts davon, was die uns alles erzählen, Ante? Glaubst du, es gibt das alles nicht, was die sagen, also diese Religionsvölker?" Ante glaubt schon lange an nichts mehr. "Ich weiß nur, dass ich manche Sachen nicht sage, bloß weil ich diesen kroatischen Namen habe, dass ich dauernd Rücksicht nehme, dass ich dauernd einer Gruppe zugeteilt und sofort danach interpretiert werde. Niemand sieht mich als Individuum."

Echte Ausländer braucht das Land

"Fahr rauf nach Österreich, da wissen die das nicht mehr, was dein Name bedeutet", rät Milomir. "Dort sitzt die nationalistische Diaspora", meint Senada. "Und diese Bosnier sind noch schlimmer als die da hier." Sie glaubt, dass es am besten wäre, wenn möglichst viele Ausländer nach Bosnien-Herzegowina kommen würden. "Wir brauchen echte Ausländer, nicht inländische Andere", meint sie. Senada ist Fremdenführerin. "Die einzigen Menschen um mich herum, die mich nicht nach meinem Namen beurteilen, sind die Touristen. Manche Međugorje-Pilger wollen sogar mit mir Rosenkranz beten." Alle, die hier bei mir beim Dinner sind, wollen auswandern. Manche nicht nur wegen der Jobs. Sie wollen auswandern, dorthin, wo niemand die balkanischen Identitäten kennt, diese schreckliche Enge. Rauswandern aus ihren Namen. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 28.3.2017)