Das Bakterium Chlamydia trachomatis (orange-grün) entwickelt ausgeklügelte Strategien, um in den menschlichen Wirtszellen zu überleben.

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Würzburg – Eine Infektion mit dem Bakterium Chlamydia trachomatis zählt zu den häufigsten Geschlechtskrankheiten der Welt. Das Problem: Viele Infektionen bleiben unerkannt, weil sich keine Symptome zeigen. Unbehandelt kann eine Ansteckung beispielsweise zum Verkleben der Eileitern und damit zu Unfruchtbarkeit führen. Neuere Befunde legen sogar den Schluss nahe, dass Chlamydien-Infektionen die Entstehung von Eierstockkrebs fördern. Auch Männer können nach einer Infektion zeugungsunfähig werden. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass weltweit bis zu zehn Prozent der Bevölkerung mit den Erregern infiziert sind.

Befällt das Bakterium eine menschliche Zelle, steht es vor einer großen Aufgabe: Es muss verhindern, dass die Zelle Abwehrreaktionen oder den programmierten Zelltod einleitet und damit die Vermehrung und Verbreitung der Krankheitserreger im Körper stoppt. Weil ihm außerdem zahlreiche Stoffwechselprozesse fehlen oder nur in Bruchstücken vorhanden sind, ist es darauf angewiesen, dass es von der Wirtszelle mit den notwendigen Nährstoffen versorgt wird.

Wie es das Bakterium schafft, von der Zelle unerkannt zu bleiben und diese am Leben zu erhalten und für sich arbeiten zu lassen, konnten nun Wissenschafter der Universität Würzburg klären. Die Forscher beobachteten konkret den Mechanismus, mit dem Chlamydien bestimmte Proteine in der Zelle anreichern oder auf die Energielieferanten der Zelle, die Mitochondrien, einwirken und damit die Zellen am Selbstmord hindern.

RNA-Moleküle im Fokus

Diese Mechanismen sind außerdem wichtig um die Bakterien vor der Erkennung des zelleigenen Abwehrsystems zu schützen. Studienleiter Thomas Rudel vom Institut für Mikrobiologie an der Universität Würzburg konnte bereits in vorangegangenen Studien zeigen, dass Chlamydien in den von ihnen befallenen Zellen das Tumorsupressor-Protein p53 außer Kraft setzen und einen Prozess starten, mit dem Schäden am Erbgut repariert werden, die eine Folge der Chlamydien-Infektion sind.

Mit der Blockade von p53 verhindern die Bakterien, dass die Zelle sich im Extremfall selbst außer Gefecht setzt. Dadurch gewinnen sie Zeit für die eigene Vermehrung. In ihrer neuen Studie haben die Mikrobiologen einen genaueren Blick auf die Mitochondrien geworfen. "Mitochondrien spielen eine wichtige Rolle bei der Energieversorgung und dem programmierten Zelltod", erklärt Thomas Rudel. Viel spreche dafür, dass Veränderungen in ihrer Architektur und Dynamik in einem engen Zusammenhang mit den allgemeinen Stoffwechselvorgängen der Zelle stünden.

Die Wissenschafter untersuchten nun, welche Auswirkungen eine Infektion mit Chlamydien auf die Mitochondrien hat. Um diese Frage zu klären, nahmen die Forscher einen weiteren Akteur genauer unter die Lupe: sogenannte miRNAs oder MicroRNAs. Diese kleinen RNA-Moleküle steuern wichtige Lebensvorgänge innerhalb von Zellen, indem sie komplexe Gennetzwerke regulieren.

Ausgeklügeltes Täuschungsmanöver

Über die sogenannte Hochdurchsatz-Technik haben die Forscher untersucht, wie sich eine Chlamydien-Infektion auf die miRNA-Expression der befallenen Zelle auswirkt. Auffälligstes Merkmal dabei: eine stark vermehrte Bildung der MicroRNA miR-30c-5p. Eine hohe Konzentration dieser kleinen RNA-Moleküle ist für die Bakterien von Vorteil: "Sie sorgen dafür, dass das Tumorsupressor-Protein dauerhaft herunterreguliert wird", erklärt Thomas Rudel.

Im Gegenzug macht eine Blockade von miR-30c den Chlamydien zu schaffen. Die Folge ist, dass die Zelle die Produktion eines Proteins namens Drp1 steigert, das die Mitochondrien in gestressten Zellen fragmentiert. Steigt dessen Konzentration im Zellinneren, erhöht sich die stressbedingte Teilungsrate der Mitochondrien, gleichzeitig steigt die Chance für die befallene Zelle, den Bakterienangriff zu überleben. Denn die Chlamydien sind in ihrem Wachstum deutlich gebremst, weil fragmentierte Mitochondrien den Erregern weniger Energie liefern und die Bakterien so verhungern.

Eine weitere Überlebensstrategie der Bakterien: Sie blockieren das Selbstmordprogramm der Zelle, das infizierte Zellen aktivieren, um sich selbst und damit auch die Erreger zu zerstören. Eine sehr effiziente Strategie der Zelle besteht darin, die unerwünschten Eindringlinge als "Abfall" zu deklarieren und in der zelleigenen Müllverwertung, dem Proteasom, zu entsorgen. Denn alle zellulären Proteine durchlaufen ständig einen Kreislauf von Proteinabbau und Neusynthese, erklären die Wissenschafter.

Erreger wird von Zelle versorgt

Ein abzubauendes Protein wird dabei mit einer Art Etikett, einem sogenannten Ubiquitin, markiert. Diesen Vorgang kann die Zelle auch durch "Spezialwerkzeuge", den sogenannte Deubiquitinasen rückgängig machen.

Die Forscher konnten jetzt zeigen, dass Chlamydien selbst eine Deubiquitinase namens Cdu1 in die Wirtszelle einschleusen. Die Folgen sind drastisch: "Es ist schon verrückt – Bakterien haben gar kein Ubiquitinsystem und verstehen es doch, gezielt diesen ausgeklügelten Abwehr-Code der Zelle so zu ändern, dass die Zelle die Bakterien nicht mehr als Eindringlinge erkennt."

Cdu1 entfernt demnach einfach die Ubiquitine von den Bakterien selbst und von einem wichtigen Regulator, der das Zelltodprogramm aus Kraft setzt. Somit entgehen die Bakterien ihrer Vernichtung und die Zelle "muss" weiterleben, um die Erreger zu versorgen, erläutern die Forscher. (red, 28.3.2017)