"Targeted Therapy" soll in die Krebsmedizin Einzug halten – dafür gilt es, Tumoren und ihre verschiedenen Zellkombinationen genau zu kennen, um ihn bekämpfen zu können.

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Lukas Huber ist ein Teamplayer, der Chancen erkennt und zu nutzen weiß. Ein echter Handballer eben. Das Büro des Arztes und Zellbiologen im Centrum für Chemie und Biomedizin an der Medizinischen Universität Innsbruck ist mit Erinnerungen an seine aktive Sportlerkarriere dekoriert.

Pokale, Mannschaftsfotos und Wimpel verleihen dem Raum ein fast heimeliges Ambiente. "Meine Tochter spielt in der deutschen Bundesliga und meine beiden Söhne in Tirol", erzählt er stolz von der an seine Kinder vererbten Leidenschaft. Er selbst ist nach wie vor im Vorstand von Handball Tirol tätig.

In seiner Funktion als Direktor des Austrian Drug Screening Institute (ADSI) nutzt er die über den Sport erlernte Teamfähigkeit. Aktuell arbeitet Huber mit insgesamt 20 Wissenschaftern, die in sechs Gruppen an drei Standorten – in Innsbruck, Udine und Triest – an der Entwicklung neuer Testverfahren, die eine personalisierte Krebstherapie ermöglichen sollen.

Tumordynamik simulieren

Vereinfacht gesagt geht es beim von der Europäischen Union geförderten Interreg-Projekt PreCanMed, das für "Precise Cancer Medicine" steht, darum, aus Tumorgewebe der Krebspatienten sogenannte Organoide zu züchten. Das sind aus dem Tumor von Patienten entnommene Zellverbände, die in der Petrischale weiterwachsen. Es sind ein paar Millimeter große Zellhaufen, die, so die Idee der Forscher, die exakt identischen Eigenschaften wie ihre Originale aufweisen.

Doch an den Nachbauten können die Forscher Krebstherapien ausprobieren, bevor diese den Menschen selbst verabreicht werden. Das erspart den Patienten möglicherweise unnötige Behandlungen und ist auch ein Beitrag zur Senkung der Kosten. Denn Krebsmedikamente sind teuer.

Den Anstoß zum Forschungsprojekt lieferte vor gut einem Jahr der Anruf eines Kollegen Hubers, mit dem er früher in Wien zusammengearbeitet hatte: "Er meinte, diese Forschungsfrage würde ihn interessieren. Der sitzt heute in Triest und leitet dort ein großes Onkologieinstitut. Sie haben ein gutes Spital in Udine und eine Menge guter Onkologen im Veneto." Der Kollege regte an, ein norditalienisch-tirolerisches Verbundprojekt zu starten, um an Tumororganoiden zu arbeiten. Huber war von der Idee begeistert.

Därme nachzüchten

"Mich hat das von Beginn an sehr interessiert, weil wir damals schon mit Organoiden von Kindern gearbeitet haben und gerade dabei waren, diese Technik zu etablieren", erklärt er. Doch ursprünglich ging es bei Hubers Forschung nicht um Krebs, sondern um unheilbare Durchfallerkrankungen bei Kleinkindern, sogenannte kongenitale Enteropathien. Huber arbeitete dazu seit Jahren mit der Innsbrucker Kinderklinik zusammen: "Was dann passierte, ist dem Serendipity-Prinzip geschuldet. Es war reiner Zufall." Im Zuge der Darmforschungen an Kleinkindern kamen Huber und sein Team in Kontakt mit einer Arbeitsgruppe um den niederländischen Immunologen und Molekulargenetiker Hans Clevers.

Clevers hat in seiner Laufbahn große Verdienste errungen. "Er hat uns molekular erklärt, wie Darmkrebs funktioniert. Und er hat herausgefunden, wie man aus Material von Biopsien lebende Därme wachsen lassen kann", erzählt Huber. Dazu hatte Clevers Stammzellen aus dem Darm entnommen. Eine einzige solche Zelle genügt, um daraus im Reagenzglas, eingebettet in eine Gelmatrix, einen dreidimensionalen Darm wachsen zu lassen.

Das war für die Zwecke der Innsbrucker ideal. Denn sie durften natürlich keine Experimente an Kleinkindern durchführen. Nun konnten sie kleinste Gewebeproben entnehmen, ohne dass dies für die Kinder belastend oder gefährlich gewesen wäre, und daraus Därme nachzüchten. Dadurch hatten die Forscher Material zur Verfügung, an dem sie die Wirksamkeit von Therapien ausprobieren konnten.

Zielgerichtete Medikamente

Im Zuge dieser Zusammenarbeit mit Clevers kam Huber der Gedanke, nicht nur Därme zu züchten, sondern auch Organoide aus Tumorzellen: "Denn in der personalisierten Krebsmedizin habe ich das Problem, dass es eine ganze Menge an Medikamenten gibt, die zielgerichtet sind." Diese sogenannten "Targeted Drugs" wirken in den Zellen an mutierten Eiweißmolekülen. Das Problem dabei ist jedoch, dass man nicht genau weiß, welche Medikamente man welchem Patienten geben soll. Das liegt daran, dass die Tumoren so unterschiedlich sind und eine Vielzahl an Mutationen aufweisen. "Das macht sie so gefährlich und unberechenbar", sagt Huber. Und just im Zuge dieser Überlegungen ereilte Huber der Anruf seines Kollegen aus Triest, der die Idee zum Interreg-Projekt aufbrachte.

Die Wissenschafter stehen jetzt am Beginn ihrer Forschung. Sie entnehmen Zellen aus dem Tumor eines Patienten, untersuchen sie molekular – das heißt, das Genom des Patienten wird sequenziert. Dadurch entsteht eine Art Schaltplan der Zelle, auf dem die einzelnen Mutationen sichtbar werden. Dementsprechend kann eine Therapie entwickelt werden, die genau dort ansetzt, wo es nötig ist.

Dieser Schritt ist Teamarbeit: "Da sitzen Onkologen, Zellbiologen, Bioinformatiker und Molekularbiologen zusammen und entwickeln einen Plan", so Huber. Daraufhin lässt man Tumor-Organoide wachsen, um dann mit dem "Griff in die Apotheke" auszuprobieren, welche Wirkstoffkombinationen auf die Organoide am effektivsten reagieren. Das machen sie so lange, bis sie in der Petrischale sehen, welche Medikamente den Tumor am effektivsten angreifen.

Wirkung vorhersagen

Im nächsten Schritt wird es darum gehen, viele solcher Tumor-Organoide zu züchten, um in Zusammenarbeit mit Ärzten im Klinikbetrieb Vertrauen in diese Methode aufzubauen. Die nicht unaufwendigen technischen Voraussetzungen dazu sind in Innsbruck, Triest und Udine gegeben. Huber und sein Team werden die Tests, die sie an den Organoiden durchführen, mit den Ergebnissen der Behandlungen der Patienten in den Kliniken vergleichen: "Im Grund schauen wir uns an, ob das, was wir therapeutisch vorhergesagt haben, dann auch praktisch so zutrifft." In Innsbruck wird man sich vorerst mit dem ansässigen Comprehensive Cancer Center auf Darmkrebs konzentrieren, die Partner in Italien werden Brust- und Lungenkrebs untersuchen.

Diese Methode, Arzneimittel im Vorfeld auf ihre Wirksamkeit auszutesten, könnte auch bei anderen Krankheiten funktionieren, etwa bei zystischer Fibrose. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg. Im Moment gilt es für Huber, sein Team im Match gegen Darmkrebs mit den Tumor-Organoiden zu einem Sieg zu führen. Als Teamplayer weiß er, wie wichtig eine gute Mannschaftsaufstellung und ein langer Atem sind. Seine Spielstrategie gegen Krebs geht über Österreichs Grenzen hinaus. (Steffen Arora, CURE, 3.7.2017)