Viren und Bakterien sind eben extrem wandelbar und trickreich – und zwingen die Forscher, stets von neuem zu beginnen.

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Die Zutrittsbedingungen ins Impfstoffwerk Rosia unweit von Siena sind streng. Wer hier reinwill, muss nicht nur den Pass abgeben, sondern gleich auch Handy und Kamera beim Portier lassen. "Die Betriebsanlagen sind zu einem Teil eigens von uns entwickelt", erklärt Istvan Karily, Leiter des Impfstoffwerks von Glaxo Smith Kline (GSK) in Siena. Deshalb sei Fotografieren strengstens verboten, "wegen Werksspionage".

Karily hat viele anspruchsvolle Aufgaben. Sicherzustellen ist, dass lebende Organismen Impfstoffe herstellen, dass diese Impfstoffe sämtliche Prüfungen passieren, dann in Spritzen abgepackt, beschriftet und unter Einhaltung der Kühlkette ausgeliefert werden. Er hat die Betriebsanlagen mitentwickelt und gebaut.

Mehrfachimpfungen – also die Kombination mehrere Impfstoffe in einer Spritze – seien eine besondere Herausforderung, "wir arbeiten mit lebenden Organismen, die miteinander interagieren können", sagt er. Karily ist Ungar, Prozesstechniker mit viel Erfahrung, trotzdem ist vieles, das er macht, Pionierarbeit. Und ja, fertige zugelieferte Technologie wie etwa von Siemens ist ein Baustein dafür, dass hier aus Rosia jene Impfstoffe, die bestellt wurden, auch garantiert ausgeliefert werden können.

Bis zu 30 Jahre Entwicklungszeit

Insofern steht das riesige Werk in Rosia am Ende einer langen Kette. "Die Entwicklung eines Impfstoffs dauert zwischen zehn und 30 Jahren", sagt Giovanni della Cioppa, Leiter der Forschungsabteilung von GSK in Siena. Mit jedem Wort über seine Arbeit wird klar: Cioppa hat großen Respekt vor Viren und Bakterien, die er für Menschen unschädlich machen will.

"Es gibt keine linearen Erfolge in unserem Bereich. Auf einen Erfolg kommen vier Misserfolge", lächelt er. Nur wer genügend Geduld, Ausdauer und Kreativität habe, würde sich in diesem Bereich bewähren können. Viren und Bakterien sind eben extrem wandelbar und trickreich – und zwingen die Forscher, stets von neuem zu beginnen. Bevor ein Impfstoff auf den Markt kommt, muss er rund 500 Tests bestehen. "Wir impfen gesunde Menschen, da können wir keine Risiken eingehen", sagt er.

Und genau das ist auch die Schwierigkeit. Impfstoffe sollten jederzeit verfügbar sein, vor allem dann, wenn es zu großen Krankheitsausbrüchen kommt. Influenza, so Cioppa, sei deshalb nach wie vor die größte Herausforderung. Grippeviren wandeln sich von Saison zu Saison, und oft weiß man erst ein halbes Jahr vor der Saison, wie das Influenza-Virus genau aufgebaut sein wird.

Prozesse verkürzen

Innerhalb von sechs Monaten – also in einem Drittel der sonst vorgesehenen Produktionszeit – muss ein Impfstoff in sämtlichen Ländern der Nordhalbkugel bei Grippeausbruch verfügbar sein. "Bei einer Pandemie sind wir produktionstechnisch wahrscheinlich immer zu spät", gibt Cioppa zu. Wenn rundherum alle Menschen schwer krank werden, steigt die Nachfrage sprunghaft.

"Wir arbeiten daran, Prozesse zu verkürzen", sagt Karily, doch das sei nur ein Baustein von vielen. "Der Kampf gegen Infektionskrankheiten kann nur erfolgreich sein, wenn Pharmaindustrie und Regierungen zusammenarbeiten, denn man muss lange vor Ausbruch einer Erkrankung mit den Vorarbeiten beginnen", betont Public-Health-Experte Norman Begg, bei GSK für "Scientific Affairs" verantwortlich, und nennt Ebola als ein gutes Beispiel für das Dilemma.

Das Virus ist seit vielen Jahrzehnten bekannt. Beim Ausbruch der Epidemie 2014 in Westafrika wurde der Ruf nach einer Impfung plötzlich sehr laut. Doch es hätte zwei Jahre gedauert, einen sicheren Impfstoff zu entwickeln. "Doch dann wurde die Epidemie durch andere Maßnahmen eingedämmt, die Impfung damit obsolet", erklärt Cioppa.

Krankheiten ausrotten

Deshalb sei die Zusammenarbeit mit Regierungen eine Grundvoraussetzung. Denn schlussendlich ist es die Gesundheitspolitik jedes einzelnen Landes, die über die Impfschemata für ihre Bevölkerung entscheidet. "Abgesehen von sauberem Trinkwasser ist das Impfen die zweitwichtigste Säule, wenn es um die allgemeine Gesundheit eines Landes geht", sagt Begg und liefert globale Zahlen.

Impfungen ersparen zwei bis drei Millionen Menschen jährlich den Tod, 750.000 Kindern lebenslange Behinderungen. Mitunter ist es durch Impfstoffe auch gelungen, tödliche Krankheiten wie etwa Pocken oder Kinderlähmung auszurotten. Aktuell arbeitet man an Impfungen gegen Malaria. Es gibt schon einen Impfstoff, der aber nur einen Schutz von 40 bis 50 Prozent bietet. "Er würde vielen Menschen das Leben retten, ist aber nicht gut genug für eine globale Zulassung", umreißt Cioppa.

"Krankenhauskeime werden die große Herausforderung in den Industrieländern werden", prognostiziert Begg, zudem werden Impfstoffe zunehmend entsprechend verschiedener Altersklassen produziert werden müssen. "Das Immunsystem verändert sich mit den Lebensjahren, entsprechend müssten auch die Impfstoffe variiert werden."

In Ländern, in denen die Menschen immer älter werden, verändern sich auch die Anforderungen. Abgesehen von Impfungen gegen Krankenhauskeime ist eine Impfung gegen Herpes Zoster (Gürtelrose, die immer öfter bei Menschen in höherem Lebensalter auftritt) und eine Impfung bei COPD ("zur Erhaltung der Lebensqualität von Patienten") in der Pipeline. "Weil es lange dauert, bis wir Impfungen auf den Markt bringen, arbeiten wir quasi heute schon in der Zukunft", sagt Begg. (Karin Pollack, CURE, 25.4.2017)