Wenn genmanipulierte Viren Fehler in der DNA reparieren, verändern sie das Erbgut sämtlicher Zellen. Defekte verschwinden. Bei Sichelzellenanämie und Hämophilie gibt es Erfolge.

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Mutanten sind wir letztlich alle – die Evolution erlaubt es nicht anders. Ohne Veränderung keine Entwicklung. Die genetischen Codes und Baupläne jeder Lebensform, sind nicht in Stein gemeißelt. DNA ist eine durchaus wandelbare Substanz. Tagtäglich werden ihre Ketten irgendwo gebrochen oder inkorrekt reproduziert. Reparaturmechanismen können viele solcher Fehler ausgleichen, aber eben nicht alle.

Zum Glück, denn aus den Schäden entsteht Neues. Veränderte Gene bringen geänderte Proteinbausteine hervor und diese wiederum Veränderungen im Stoffwechsel oder im Körperbau. Manches davon kann Vorteile bringen. Der betroffene Organismus kommt womöglich besser in seiner Umwelt zurecht, erschließt vielleicht sogar neue ökologische Nischen und hat so mehr Nachkommen. Der Fortschritt des Lebens.

Defekte reparieren

Es geht allerdings auch anders. Gendefekte sind die negative Seite der Mutation. Ein einziger fehlerhafter DNA-Baustein reicht aus, um den Träger extrem zu beeinträchtigen. Die natürliche Selektion macht mit solchen Störungen normalerweise kurzen Prozess. Der Geschwächte überlebt nicht lange, das geschädigte Erbgut verschwindet wieder aus dem Genpool. Gut für die Art, aber schlecht für das Individuum.

Allerdings: Es liegt in der Natur des Menschen, sich damit nicht abzufinden. Längst hat die Medizin Ansätze entwickelt, um Patienten mit genombedingten Krankheiten zu helfen. Künstlich zugeführte Botenstoffe gleichen Defizite in der körpereigenen Produktion aus, Präparate setzen marodierende Moleküle außer Gefecht. Doch eigentlich war das nur Symptombekämpfung. Wissenschafter möchten die Probleme lieber an deren Wurzeln angehen – im Erbgut selbst.

Blut macht den Anfang

Gentherapie galt lange als ferner Zukunftstraum. Zu kompliziert erschienen gezielte Eingriffe in die menschliche DNA, zu groß die potenziellen Risiken. Seit ein paar Jahren indes wendet sich das Blatt. Große Fortschritte wurden zum Beispiel im Bereich Hämatologie gemacht. Die Perspektiven für die Entwicklung von gentherapeutischen Verfahren zur Behandlung der Bluterkrankheit etwa sind "mittlerweile hervorragend", sagt die Hämatologin Ingrid Pabinger-Fasching von der Medizinischen Universität Wien. Weltweit sind zurzeit rund ein Dutzend verschiedene Ansätze in Arbeit, einige davon werden bereits klinisch getestet.

Die Bluterkrankheit ist in den allermeisten Fällen ein Erbleiden, verursacht durch Fehler in der Produktion zweier Gerinnungsfaktoren: FVIII bei Hämophilie A und FIX bei Hämophilie B. Ist eines dieser Proteine nicht vorhanden oder in seiner Wirkung eingeschränkt, kommt es zu Störungen in der Blutgerinnung. Wie stark die Pathologie ausgeprägt ist, hängt vom Defekt am jeweiligen Faktor-Gen ab.

Manche Veränderungen senken den Spiegel nur um 60 bis 70 Prozent, andere wiederum reduzieren die Menge an aktivem FVIII oder FIX auf weniger als zehn Prozent seines Normalwertes. Das kann lebensbedrohlich sein. "Die Hämophilie entsteht auch immer wieder neu", so Pabinger-Fasching. Neue Mutationen treten auf und werden weitervererbt. Die Krankheit wird somit nie verschwinden.

Bessere Zukunft

Heutzutage verabreichen Ärzte ihren Hämophilie-Patienten künstlich hergestellte Gerinnungsfaktoren – ein relativ einfacher Ausgleich des Defizits, doch manchmal wirkt es nicht. Die Gentherapie könnte Abhilfe schaffen. Man versucht dabei, neue DNA mit den korrekten Codes für die Faktorproduktion in Zellen einzuschleusen, als Ersatz für die schadhaften Sequenzen.

Zum Transport werden meistens gentechnisch veränderte Viren eingesetzt. Sie durchdringen die Zellmembran und deponieren ihr Erbgut mitsamt den zusätzlichen Faktorgenen im Zellkern, der Schaltzentrale für den Stoffwechsel. Schon bald danach sollte funktionsfähiges FVIII oder FIX freigesetzt werden.

Der Trick scheint zu funktionieren. Mehrere Forschungsteams meldeten 2016 Erfolge, hauptsächlich bei Hämophilie B. Der Hintergrund ist technischer Natur. Das für Faktor IX kodierende Gen ist deutlich kürzer als die entsprechende Sequenz für Faktor VIII. Der kleinere DNA-Abschnitt lässt sich leichter in modifizierte Viren einbauen.

Vektoren erkennen

Letztere, die sogenannten Vektoren, müssen zudem noch anderen Anforderungen genügen. Sie dürfen keine gefährlichen Infektionen oder Immunreaktionen auslösen, sollten aber zuverlässig den körpereigenen Abwehrkräften entgehen. Sonst würden die Mikro-Boten ihre Genpakete niemals ins Ziel bringen.

Als besonders vielversprechende Vektoren gelten momentan die Adeno-assoziierten Viren, kurz AAV. Ihre bevorzugten Einnistungsorte sind Leberzellen, quasi die chemischen Fabriken des Körpers. AAV haben auch den Vorteil, dass sie kaum pathogen sind und nach bisherigen Erkenntnissen ohne Krebsrisiko, sagt Pabinger-Fasching. Anders als bei Retroviren wird AAV-DNA nicht in die Chromosomen eingebaut, sondern bleibt in eigenständigen Einheiten, Episomen genannt, im Zellkern erhalten. Das erhöht die Sicherheit. Die Integration von Fremd-DNA ins Erbgut erfolgt nach dem Schrotflintenprinzip. Dementsprechend können die Sequenzen auch lebenswichtige Codes wie Tumor-Suppressions-Gene unterbrechen, unkontrolliertes Wuchern wäre die Folge.

Weiterer Erfolg

Hämophilie ist nicht die einzige Erbkrankheit mit guten gentherapeutischen Behandlungsperspektiven. Ein Durchbruch gelang französischen und US-Forschern kürzlich bei einem Patienten mit Sichelzellenanämie. Dieses Leiden beruht auf einer einzigen Mutation im Code für den Hämoglobin-Baustein BetaA-Globin.

Der Fehler lässt das Blutpigment bei Sauerstoffmangel polymerisieren. Im Inneren der roten Blutkörperchen entstehen dadurch Proteingebilde, die die Zellen ihrer Flexibilität berauben. Das führt leicht zu schmerzhaften Verstopfungen in den Kapillaren. Es drohen Thrombosen, Gelenk- und Organschäden.

Der vom Expertenteam behandelte Betroffene, ein inzwischen 17-Jähriger, litt als Kind unter starken Symptomen. Die Wissenschafter entnahmen Blutstammzellen aus seinem Knochenmark und setzten diese im Labor einem modifizierten Lentivirus aus. Der Vektor schleuste das künstliche Gen BetaA-T87 ein. Dank dieses Codes sollten die Zellen eine neue Hämoglobin-Variante produzieren können, deren Aktivität der Polymerisation entgegenwirkt. Nach der Transfektion wurden die Stammzellen wieder in den Körper des Patienten transplantiert.

Evolution von Menschenhand

Das Verfahren schlug an. Die neu ausgestatteten Zellen vermehrten sich und produzierten Hämoglobin AT87Q. "Unser Ziel war es, einen 30-prozentigen Anteil zu erreichen", berichtet Jean-Antoine Ribeil, behandelnder Arzt am Hôpital Necker in Paris. Nach neun Monaten stieg die Konzentration sogar auf 48 Prozent und blieb stabil. Der junge Mann führt ein normales Leben. Derweil konnten zwei weitere Patienten nach der Methode behandelt werden, die Ergebnisse liegen noch nicht vor.

Die Gentherapie dürfte die Medizin revolutionieren. Wissenschafter wollen inzwischen nicht nur zusätzliche DNA einbauen, sondern direkt Korrekturen mit dem CRISPR-Cas9-Verfahren durchführen. Dies ermöglicht zielgenaue Schnitte in Erbgutsträngen. Vielleicht lassen sich defekte Gene in Zukunft einfach austauschen. Das wird ethische Fragen aufwerfen. (Kurt de Swaaf, CURE, 12.7.2017)

Originalpublikation:

Gene Therapy in a Patient with Sickle Cell Disease

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