Irgendwann ist jeder dran. Früher oder später ereignet sich in jedem Leben von uns Dauerschauerinnen und Dauerschauern das große "Ach". Dann erliegen wir dem Charme und verlieben uns. In eine Serie. Ganz und gar, mit Haut und Haaren, ohne Wenn und Aber.

Das erste Mal ist, das liegt in der Natur der Sache, bei jeder, bei jedem anders. Ob sich daraus etwas für das weitere Leben sagen lässt, ist schwer zu beurteilen. Frau Antonius liebt heute "Game of Thrones", Frau Kampl verehrt "Girls", Frau Priesching wird bei "Downton Abbey" schwach. Es folgen: Geständnisse. Aber lesen Sie selbst.

Und wie immer gilt: Wer nichts über den Inhalt einzelner Folgen wissen will, sollte ab hier nicht weiterlesen.

Anya Antonius: "Dawson's Creek"

"Dawson's Creek" mag bieder gewesen sein. Sehr bieder. Doch für viele Teenager der 90er war es vor allem eines: die erste "eigene" Serie. So wie für mich. "Beverly Hills" war schon am Auslaufen – und bot auch nicht unbedingt viel Identifikationspotenzial –, das vielversprechende "Willkommen im Leben" dauerte nur eine kurze Staffel. Und dann kamen Dawson, Joey, Pacey und Jen. Die Philosophen aus Capeside, dem Städtchen in der Nähe Bostons, in dem sogar Highschool-Drop-outs redeten, als wären sie Hochschuldozenten.

Kein Teenager hat sich jemals so verschwurbelt ausgedrückt und Worte wie "hyperbolisch" in ein lockeres Gespräch eingebaut. Dennoch war es schön, offensichtlich als Zielgruppe so ernst genommen zu werden. Über sechs lange Staffeln konnte man dem – zunehmend repetitiven – Liebeswirrwarr zwischen Joey, Dawson und Pacey zusehen. Ganz verstanden habe ich es das Problem zwar nicht – Joey hatte so gut wie immer schlechte Laune und hat im Lauf der 128 Episoden ungefähr dreimal gelächelt.

Dawson war ein enervierend braver Musterschüler, dessen interessanteste Eigenschaft seine Filmleidenschaft war – das "Crying Dawson"-Meme fasst seinen Seriencharakter eigentlich sehr schön zusammen. Das Liebesdreieck wäre nicht nötig gewesen, die zwei hätten perfekt zusammengepasst.

duschmops

Grund zum Einschalten war für mich viel mehr Jen, das gefallene Mädchen aus New York, und Pacey, der James Dean von Capeside. Wie viel mehr Energie und Lebensfreude haben die beiden im Vergleich zu den Emo-Kids der Nachbarschaft verbreitet. Wie alle guten Helden hatten die zwei eine schwere Kindheit, einen rebellischen Geist und ein Herz aus Gold.

Alles, was in der Serie halbwegs interessant war, hatte mit Sicherheit etwas mit den beiden zu tun. Jen, die mit ihrer Großmutter und ihrem schwulen Exfreund Jack in einer WG zusammenlebte und sich auch mit Außenseiterinnen wie der wilden Abby anfreundete. Und Pacey, der eine – rückblickend verstörende – Affäre mit seiner Lehrerin einging, alleine Boote reparieren konnte und seinen Freundinnen Hauswände mietete, auf denen sie sich kreativ ausleben konnten. Würde ich mir die Serie heute noch ansehen? Vermutlich nicht.

Zu unfreiwillig komisch sind die Dialoge, die übertriebenen Reaktionen, das intensive Drama. Es ist alles ein bisschen peinlich – fast so, als würde man seine alten Tagebücher von damals finden und den eigenen Teenieweltschmerz aus der Distanz betrachten. Das funktioniert im Rückblick einfach nicht. Doch ich kann gut verstehen, warum ich damals kaum eine Folge ausgelassen habe.

Michaela Kampl: "Willkommen im Leben"

Es gibt Serienmomente, die ich nie vergessen werde. Einer der ersten war der Moment, als Angela Chase in "Willkommen im Leben" eines Morgens aufwacht und sich ganz sicher ist, dass sie nicht mehr in Jordan Catalano verliebt ist. Darüber freut sie sich dermaßen, dass sie zu "Blister in the Sun" von den Violent Femmes mitsingend durchs Zimmer tanzt

Das war so schön, so nachvollziehbar und die Musik so gut. Nur dauerte es circa drei Wochen, bis wir – die eingeschworene Fangemeinde – herausgefunden hatten, was das für ein Lied war. Das klappte auch nur, weil irgendwer die Folge auf Video aufgenommen hatte und wir uns deswegen im Abspann die Musikcredits anschauen konnten. Bis dann aber jemand in Graz war und das Album gekauft hatte, dauerte es sicher nochmals mindestens zwei Wochen. Aber nicht nur wegen der Musik war "Willkommen im Leben" meine erste richtige Serienliebe – und ja, ich weiß, im Original heißt es "My So-Called Life", aber damals, so ungefähr 1996. lief im ORF die synchronisierte Fassung, und was anderes gab's nicht.

Verity Carver

Im "Willkommen im Leben"-Universum war alles irgendwie näher und richtiger als in anderen Teenagerserien. Die Schwärmereien und Freundschaften waren nachvollziehbar, vielschichtig und niemals, niemals lächerlich. Rayanne, die gern Schule schwänzt und auf alles eine Antwort zu haben scheint, hat ein Drogenproblem, der scheinbar immer gutgelaunte Rickie kämpft mit seinem Schwulsein, Angelas Vater hat eine Affäre, ihre Mutter wechselt zwischen Strenge und Unsicherheit und nervt dabei alle – vor allem sich selbst. Und dann natürlich Jordan, der stille, unsichere Junge mit Leseschwäche – oder, wie Angela ihn sah, der ruhige Junge mit den tiefen Gedanken, schönen Haaren, dem roten Auto und Band. Sie alle gemeinsam in ihrer Unperfektheit waren, was "Willkommen im Leben" so schön machte.

Erste Lieben werden ja gern verklärt. Nicht von mir: "Willkommen im Leben" ist ganz neutral und objektiv betrachtet einfach eine der besten Serien weltweit. Und alles, was Angela anhatte, hatte ich auch gern angehabt in den 90ern – und manchmal noch jetzt.

Doris Priesching: "Anne auf Green Gables"

In grauer Fernsehsteinzeit war es Brauch des einzigen österreichischen Staatsfernsehens, zu Weihnachten seine liebe Kinderschar mit eigens für sie produzierten Mehrteilern zu beschenken. Das ganze Jahr mit "Unsere kleine Farm" und "Die Waltons" abgespeist, sollte es ab dem Christtag endlich Grund zur Freude geben – heute würde man "Event" dazu sagen. Diese Vorfreude wurde dann regelmäßig enttäuscht, denn sehr oft kamen Spießer und Langweiler wie "Anna", "Timm Thaler" oder "Oliver Maas" zum Zug. Wieder nichts.

Zu Weihnachten 1986 war es anders: Ein kleines Mädchen mit langen roten Zöpfen, weiß-rosa Trägerkleid und schwarzen Schnürschuhen suchte und fand ein neues Zuhause. Als Waisenkind bei Mr. Matthew und Mrs. Marilla Cuthbert und, man kann es nicht anders sagen, in meinem Herzen.

Anne Shirley hatte nämlich die Gewohnheit, seltsam verschwurbelt zu formulieren. Die Cuthberts erduldeten das Gequassel und so manchen stets in bestem Wissen und Gewissen angestifteten Streich. In Erinnerung ist mir zum Beispiel das erste Nachgebet, das sie vor der gläubigen Marilla führen sollte und in dem sie den lieben Gott mit "Dear Sir" anredete und sich mit "Hochachtungsvoll" verabschiedete.

Sullivan Entertainment

Fünf Teile, und jeden einzelnen davon habe ich als Kunstwerk in Erinnerung und als Teil meiner Erwachsenwerdung. Denn als Kind spielte ich gerne mit Pistolen und mochte Big Jim lieber als Barbie, aber bei Anne-Blumenwiese-Klaviergeklimper schmolz ich dahin, obwohl es ein Mädchen war. Weil Anne nicht nur süß und witzig war, sondern auch auf ihrer Eigenartigkeit bestand, die Dinge tat, weil sie gar nicht anders konnte, und wer "Karotte" zu ihr sagte, bekam mindestens eine Schiefertafel über dem Kopf zerdeppert, so wie der Knabe Gilbert, der Frechdachs, in den sie sich dann auch prompt verliebte.

Zudem spielte das Ganze in herrlicher kanadischer Natur, Matthew führte die Kutsche, die Pferde hoppelten durch satte Wiesen in die Abendsonne. Drei Jahre später folgte "Anne in Kingsport", wo das Mädchen zur Frau wird und es damit irgendwie langweilig wird. Die dritte Staffel "Anne auf Green Gables – Das Leben geht weiter" wurde im ORF, soweit ich das nachverfolgen konnte, nicht mehr ausgestrahlt. Witzigerweise entdeckte ich die Serie erst vor kurzem wieder und staunte: Von Beruf war Anne Redakteurin und Lektorin in einem New Yorker Verlag geworden.

"Anne auf Green Gables", entstanden nach dem Roman von Lucy Montgomery, wurde dargestellt von Megan Fellows. Colleen Dewhurst und Richard Farnsworth waren die Cuthberts, beide sind schon verstorben. Megan Fellows blieb dem Filmgeschäft treu, sie spielte etwa in "Die Tore der Welt" (2012), zuletzt trat sie in Folgen von "Reign" auf.

Als Film gab es 2016 eine Fortsetzung mit Martin Sheen, eine Serie ist in der Pipeline. Es ist nicht dasselbe. (Anya Antonius, Michaela Kampl, Doris Priesching, 30.3.2017)