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Wladimir Putin auf dem Franz-Joseph-Land.

Foto: Sergei Karpukhin/AP

Das Verlangen nach den reichen natürlichen Ressourcen des Nordens wächst, der Klimawandel schmilzt neue Handelswege frei. Russland gefällt sich in der Rolle der arktischen Ordnungsmacht, die die prosperierende Wirtschaft der Region koordiniert und ob ihres Know-hows umschmeichelt wird. Doch die Erkenntnis, dass die Arktis von der politischen Weltlage nicht abgesondert ist, manifestiert sich immer deutlicher in der Aufrüstung an den nördlichen Rändern ihrer Anrainerstaaten.

Go North

Dass die Arktis als Region lange Zeit jenseits der politischen Wahrnehmungsschwelle lag und international gültige rechtliche Bestimmungen für sie erst mühsam erarbeitet werden müssen, zeigt sich schon dadurch, dass es bis heute keine allgemein anerkannte geografische Definition für sie gibt. Frühere Bestrebungen, die Region mit dem 66. (Polarkreis) oder dem 60. Breitengrad abzugrenzen, wurden verworfen. In den 50er-Jahren zogen Wissenschafter schließlich klimatische Kriterien heran und schlugen vor, die Arktis als jene Zone zu definieren, in der das Temperaturmittel im Juli zehn Grad Celsius nicht übersteigt. Die sogenannte Isotherme verläuft sehr unregelmäßig, neben Russland haben die USA (mit Alaska), Kanada, Norwegen und Dänemark (mit Grönland) Staatsgebiet innerhalb der Linie. Das führt zu der Frage, wer das Nordpolarmeer wie nutzen darf.

Das Seerechtsübereinkommen (SRÜ) der Vereinten Nationen von 1982 gewährt Staaten das Recht auf begrenzte Kontrolle der Wasserfläche bis zu einer Entfernung von 200 Seemeilen (rund 370 Kilometer) von ihrer Basisküstenlinie. Seit 2001 haben alle Staaten bis auf die USA einen Antrag auf Erweiterung des Festlandsockels gestellt, 2009 wurde Norwegen als erstem Land stattgegeben. Das übrige Gebiet um den Nordpol befindet sich im rechtlichen Schwebezustand, je nach Auffassung ist es internationales Gewässer oder sektoriell vollständig zwischen den Anrainerstaaten aufgeteilt.

Die vorgeschlagene Aufteilung der Arktis in nationale Sektoren.
Foto: APA

Ressourcenreicher Schmelztiegel

Das Rohstoffangebot in der Arktis ist überaus vielfältig. In der unwirtlichen Kälte lagern Schätzungen der russischen Akademie der Wissenschaften zufolge ein "überwältigender Teil" der weltweiten natürlichen Ressourcen, 40 Prozent der russischen Gold-, 60 Prozent der Erdöl-, zwischen 60 und 90 Prozent der Erdgasvorkommen sowie wertvolle Übergangsmetalle wie Mangan und Kobalt.

Der fortschreitende Klimawandel macht nicht nur die Rohstoffe zugänglicher, durch ihn werden auch strategisch wichtige Routen im Nordpolarmeer schiffbar. Die arktische Eisdecke erreichte 2017 nach Informationen der Nasa und der Klimabehörde NSIDC (National Snow and Ice Data Center) nur noch 14,42 Millionen Quadratkilometer, die geringste Ausdehnung seit Beginn der Messungen vor 38 Jahren.

Wie die wirtschaftliche Ausbeutung weiter vonstatten gehen soll, wurde Ende März beim internationalen "Arktischen Forum" im nordrussischen Archangelsk abgesteckt. Der prominenteste Teilnehmer, Präsident Wladimir Putin, inszenierte sich als lokaler Hegemon und Initiator der gemeinschaftlichen ökonomischen Nutzung arktischer Ressourcen und reagierte sichtbar unwillig, als ihn der amerikanische Moderator mit einer Frage zu Ukraine und Krim behelligte. Viel lieber sprach er über Russlands Plan, zum weltweit größten Produzenten von Flüssiggas zu werden, und von der projektierten Fabrik Jamal-LNG, in der in Zusammenarbeit mit Frankreich und China in der Arktis gefördertes Erdgas abgekühlt werden soll, um das Volumen und damit die Transportkosten zu senken.

Eisbrecher für die Wirtschaft

Vor dem Forum besuchte Putin die russische Inselgruppe Franz-Joseph-Land im Nordpolarmeer und gab medienwirksam den Startschuss für das nördlichste Erdgas- Bohrloch im russischen Kontinentalschelf. Dabei versprach er auch, sich um ökologische Fragen zu kümmern, und kontrollierte, wie die angeordnete Abtragung der riesigen Müllberge vorankommt, die zu Sowjetzeiten in der Polarregion aufgeschichtet wurden.

In den jüngsten Berichten der russischen Medien macht sich Goldgräberstimmung breit, stets betont wird die Rolle des Militärs bei Aufbau und Wiederinbetriebnahme arktischer Infrastruktur.

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Bei seiner Reise auf das Franz-Joseph-Land wurde Präsident Wladimir Putin von seinem Premier Dmitri Medwedew (Mitte), seinem Vertreter für Ökologie und Infrastruktur, Sergej Iwanow (Zweiter von rechts), und Verteidigungsminister Sergej Schoigu (rechts) begleitet.
Foto: Alexei Druzhinin/AP

Während ähnlich gelagerte Lautmeldungen der US-Eliten von kühlen strategischen Überlegungen getragen sind, legitimiert man in Russland die Ansprüche auf die Arktis nicht zuletzt ideologisch. "Der Norden, das ist das Unsrige!", heißt es in der Einleitung zu einer Artkis-Reportage des halbstaatlichen TV-Senders Perwi Kanal. "Russland ist ein Land des des Nordens. Früher oder später wird die Arktis angeeignet werden, angeeignet von Russland!"

Säbelrasseln in der Kälte

Bisher musste sich das Militär darauf beschränken, Kriegsschiffe in die von zivilen Eisbrechern geschlagenen Schneisen zu führen, doch vergangenen Mittwoch wurde in einer St. Petersburger Werft der Bau des ersten "Multifunktions-Patrouilleneisbrechers" der russischen Kriegsmarine gestartet. Er wird Teil der arktischen Flotte Russlands sein, die auch atomar bewaffnet ist.

Seit 2006 fand "Cold Response", eine Nato-Übung unter norwegischem Kommando, sechsmal in der Arktis statt, zuletzt 2016. Norwegen besitzt auch mehrere große Marinestützpunkte in seinen nördlichen Regionen, Kanada hat 5.000 "Canadian Rangers" (ein Verband der Streitkräfte ohne Kampfauftrag) in arktischem Gebiet stationiert. Die USA und Dänemark zeigen dagegen geringe Dauerpräsenz.

In den Vereinigten Staaten schrillen angesichts der jahrzehntelangen militärischen Vernachlässigung des Nordens bereits die Alarmglocken. Der pensionierte Admiral James Stavridis sagte im Dezember der "Military Times", die Arktis sei "von entscheidender Bedeutung" für die USA und die Nato. Sie würden hinter Russland "weit zurückliegen", das eine "echte Militärkraft im hohen Norden" aufbaue.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Polarmeers sieht man das naturgemäß anders. Der Chefredakteur der Zeitschrift "Nationale Verteidigung", Igor Korotschenko, sprach bereits vergangenen Sommer von der Wichtigkeit, im "von den USA und der Nato" losgetretenen Wettrüsten "den russischen Sektor der Arktis und die Unantastbarkeit unserer nördlichen Grenzen" zu sichern. Dafür benötige man schwer bewaffnete Eisbrecher, die ganzjährige Präsenz ermöglichen.

Industrialisierter Naturraum

Die US-Zeitschrift "National Defense Magazine" meint, man könne nicht von einer Militarisierung der Arktis sprechen, weil es nie eine Demilitarisierung gegeben habe. Was derzeit zu beobachten ist, sei nur die Wiederaufnahme von Manövern aus dem Kalten Krieg und die Wiederinbetriebnahme brachliegender militärischer Infrastruktur.

Während international die Sorge vor bewaffneten Zusammenstößen wächst – Medienberichte kommen kaum ohne das Wortspiel vom neuen "Kalten Krieg" aus –, schlagen Umweltorganisationen angesichts der immer riskanter werdenden Öl- und Gasbohrungen in der Region Alarm. Die Greenpeace-Kampagne "Save the Arctic" tritt etwa für eine UN-Resolution zur Schaffung eines überstaatlich verwalteten Umweltschutzgebiets ein, um den Lebensraum für Tiere und Eingeborene so natürlich wie möglich zu erhalten. Doch dieser schmilzt dahin, und die Polarregion ist für ihre Anrainerstaaten längst vom Hinterhof zur zentralen Zukunftsfrage für die Lebensbedingungen ihrer Einwohner geworden – wirtschaftlich und klimatisch. (Florian Supé, 22.4.2017)