Um die Lesekompetenzen der Schüler steht es nicht gerade zum Besten.

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Alarm! Nach fast acht Schuljahren können 17 Prozent der 14-Jährigen kaum lesen, hat eine Testung wieder einmal ergeben. Dabei ist die Fähigkeit, Informationen aus Texten zu entnehmen, die zentrale Kompetenz schlechthin. Alles weitere Lernen hängt davon ab. Das Problem ist seit langem bekannt, die bisherigen Maßnahmen waren praktisch wirkungslos.

Und wieder stehen wir vor einer Bildungsreform, mit der sich große Hoffnungen verbinden; vor einer, die diese Hoffnungen wieder nicht erfüllen wird. "Es passiert viel, aber es ändert sich nichts", würden die Franzosen sagen. Denn die Ursachen für den unerfreulichen Zustand unseres Bildungswesens, der sich seit 16 Jahren auch bei den Pisa-Ergebnissen zeigt, liegen nicht in den äußeren Strukturen, sie liegen ganz woanders.

"Auf den Lehrer kommt es an!"

Nicht auf die Schulorganisation, nicht auf ein noch offeneres Lernen, nicht auf noch mehr Computereinsatz in noch jüngerem Alter, schon gar nicht auf das Abschaffen der Pausenglocke kommt es in erster Linie an. "Auf den Lehrer kommt es an!", hat der neuseeländische Bildungswissenschafter John Hattie in seinem hochgelobten Werk "Visible Learning" überzeugend dargelegt. Aber Lehrer können nur gut unterrichten, wenn es ihnen gut geht. Und wie steht es um die österreichischen Lehrer?

Laut einer Studie der Allianz-Versicherung sind sie die Berufsgruppe mit der höchsten Stressbelastung. 45 Prozent fühlen sich dadurch erheblich beeinträchtigt. Nicht wenige sind von Burn-out bedroht. Die Ursachen dafür lassen sich unschwer analysieren. Dagegen anzukämpfen sollte in den Mittelpunkt der Bemühungen um eine bessere Schule gestellt werden. Die Vorgesetzten sollten es in Zukunft als ihre Hauptaufgabe sehen, dafür zu sorgen, dass es ihren Lehrern gut geht. Viele Pädagogen sind bisher während ihrer Dienstzeit kaum einmal nach ihrem Befinden gefragt worden. Auf diesem Gebiet ist ein grundlegender Wandel nötig. Das Angebot einiger Fortbildungskurse reicht da bei weitem nicht. Dass es möglich ist, die Verhältnisse zu verbessern, zeigen uns andere Länder.

Wohlbefinden der Lehrer – und Schüler

Im System Schule hängt alles mit allem zusammen. Erschöpfte Lehrer sind oft nicht in der Lage, sich ausreichend um das Wohlbefinden ihrer Schüler zu kümmern. Daher kommt es wohl auch, dass Österreichs Schüler im gesamten OECD-Raum am häufigsten von Mobbing betroffen sind. Dabei ist Mobbing nur die Spitze des Eisbergs, verschiedene andere, leichtere Formen von Belästigung kommen wohl noch häufiger vor. Das wirkt sich nicht nur auf die Gesundheit der Betroffenen, sondern auch auf die Ergebnisse ganzer Klassen negativ aus. Aus der Wirtschaft weiß man, dass die Leistung von Abteilungen, in denen Mobbing herrscht, oft um bis zu 25 Prozent sinkt. Viel zu wenig geschieht bisher, um das Wohlbefinden der Schüler in ihren Klassen zu verbessern und Mobbing gar nicht aufkommen zu lassen.

Viele Möglichkeiten gäbe es, etwas dagegen zu unternehmen. Aber das setzt engagierte Lehrer voraus, die im Vollbesitz ihrer Kräfte sind. Es setzt auch verantwortungsvolle Institutionen voraus, die nicht nur Angebote bereitstellen, sondern die zu bestimmten Maßnahmen verpflichten und die Einhaltung dieser auch kontrollieren. Aber es geht nicht nur um die Beeinträchtigung der Leistung, es geht auch um die schrecklichen Folgen, die Mobbing auf Gesundheit und Entwicklung von jungen Menschen haben kann. So wie wir uns jetzt fragen, wie vor Jahrzehnten die zahlreichen Missbrauchsfälle in Heimen möglich waren, wird man sich in 20, 30 Jahren fragen, warum die Verantwortlichen unserer Zeit nicht in der Lage waren, etwas gegen Mobbing zu unternehmen. Denn es ist möglich, viel wirkungsvoller einzugreifen, als es bis jetzt geschehen ist.

Ziele erreichen – wie in der Wirtschaft

Wer die Ergebnisse unseres gar nicht billigen Schulsystems verbessern will, muss außerdem Standards festlegen, zunächst in den wichtigsten Bereichen, mit der Zeit in möglichst allen Fächern und Schulstufen. Und natürlich muss regelmäßig das Erreichen der Ziele überprüft werden. Nur so kann rechtzeitig auf Versäumnisse reagiert werden. Damit nicht mehr passiert, was der frühere Bifie-Leiter Günter Haider vor Jahren in einem Vortrag festgestellt hat: Ein Teil unserer Volksschulklassen verliert im Laufe der vier Jahre ein Lernjahr, das heißt, sie sind nach vier Jahren dort, wo andere schon nach drei Jahren sind. Gegen eine solche Entwicklung müsste spätestens nach dem ersten Volksschuljahr eingegriffen werden.

Die Festlegung und Überprüfung von Standards ist natürlich mit einigem Aufwand und zusätzlichen Kosten verbunden. Auch viele Widerstände werden zu überwinden sein, denn es wird von einem Teil der Betroffenen als unangenehm empfunden werden, wenn das Erreichen von Zielen (wie in der Wirtschaft üblich) überprüft wird. Aber nur so kommen wir weg von einem System, in das viel Geld hineingesteckt wird und bei dem zu wenig herauskommt.

Stärken, nicht schwächen

In jeder Hinsicht brauchen wir in Zukunft ein flexibles Schulsystem, eines, das Ressourcen dafür bereitstellt, bei Fehlentwicklungen sofort zu reagieren; das zum Beispiel ermöglicht, bei Problemen in Klassen sofort für einen bestimmten Zeitraum eine zweite Lehrkraft zur Verfügung zu stellen; damit man in Zukunft nicht wieder erst nach acht Jahren Unterricht verwundert feststellt, dass vieles schiefgelaufen ist.

Es sei die Aufgabe der Schule, "die Menschen zu stärken und die Sachen zu klären", hat Hartmut von Hentig festgestellt. In der österreichischen Schule werden viele Menschen geschwächt und daher auch oft die Sachen nicht ausreichend geklärt. Es ist möglich und es ist eine Pflicht, das zu ändern. (Alois Floimayr, 3.4.2017)