Warschau – Fast sieben Jahre nach dem Tod des damaligen polnischen Präsidenten Lech Kaczyński bei einem Flugzeugabsturz in Russland will Polen die russischen Fluglotsen vor Gericht stellen. Zwei Fluglotsen und "einer dritten Person" aus dem Kontrollturm wird vorgeworfen, den Absturz absichtlich verursacht zu haben, gab die Staatsanwaltschaft in Warschau am Montag bekannt.

Die Staatsanwaltschaft hatte den Fluglotsen bereits 2015 eine Mitschuld an dem Unglück gegeben und auch Anklage erhoben. Einer der beiden Russen wurde damals beschuldigt, die "unmittelbare Gefahr eines Flugzeugunglücks" verursacht zu haben. Seinem Kollegen wurde Fahrlässigkeit vorgeworfen. Die neuen, schwerwiegenderen Anklagepunkte haben sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft aus der erneuten Auswertung von Beweismaterial ergeben, darunter die Aufzeichnungen der Gespräche zwischen Cockpit und Tower.

Verschwörungstheorien

Beim Absturz der Tupolew-154 am 10. April 2010 waren außer Kaczyński auch seine Ehefrau und 94 weitere Insassen ums Leben gekommen. Unter den Opfern waren ranghohe Militärs und Politiker, die zum 70. Jahrestag des Massakers von Katyn bei Smolensk an einer Gedenkfeier teilnehmen wollten. In Katyn hatte die sowjetische Geheimpolizei im Zweiten Weltkrieg mehrere tausend polnische Offiziere erschossen.

In Polen ranken sich zahlreiche Verschwörungstheorien um den Absturz. Jarosław Kaczyński, der Vorsitzende der rechten Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und Zwillingsbruder des tödlich verunglückten Exstaatschefs, ist wie viele seiner Landsleute der Ansicht, dass der Absturz der Präsidentenmaschine auf einen Anschlag zurückzuführen sei.

Eine erste Untersuchung der damaligen Regierung war 2010 hingegen zu dem Ergebnis gekommen, dass das Flugzeug abstürzte, weil die Piloten trotz dichten Nebels zu landen versuchten. Eine Auswertung des Stimmenrekorders zeigte, dass mehrere Militär- und Regierungsvertreter die Piloten im Cockpit trotz des schlechten Wetters zur Landung drängten.

Nachdem die PiS im Oktober 2015 an die Macht zurückkehrte, wurde eine neue Untersuchung eingeleitet. Im November begannen die Ermittler mit der Exhumierung von Opfern des Flugzeugabsturzes. Wie die Staatsanwaltschaft am Montag mitteilte, sollen im Mai zudem Trümmerteile der Maschine an vier ausländische Labore übergeben werden, um sie auf Sprengstoffspuren zu untersuchen. (APA, 3.4.2017)