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Afghanischer Soldat in Kabul, unweit eines Ortes, an dem Anfang März ein Anschlag stattfand. Attentate und Explosionen sind auch in den großen Städten an der Tagesordnung.

foto: ap/gul

Für Initiativen, die die freiwillige Rückkehr von Afghanen in ihr Heimatland forcieren – etwa die Ankündigung Innenminister Wolfgang Sobotkas (ÖVP), den ersten tausend Asylwerbern, die gehen, je 1.000 Euro zu zahlen –, gibt es in Österreich wohl mehrheitlich Zustimmung. In anderen Staaten der EU ist das ähnlich.

Und auch die nun zahlreicheren Abschiebungen nach Kabul auf Grundlage der "Joint Way Forward"-Vereinbarung zwischen der EU und Afghanistan stoßen, außer bei den Betroffenen und Flüchtlingshelfern, auf keine Kritik.

Frage der Rechtsstaatlichkeit

Im Gegenteil, Rückkehrentscheidungen müssten durchgesetzt werden, andernfalls erleide die Rechtsstaatlichkeit Schaden, heißt es: ein zutreffendes Argument, für sich allein genommen.

Auch stehen immer mehr Österreicher speziell Afghanen kritisch gegenüber. Die mehrheitlich jungen, alleinstehenden Männer seien besonders schwer integrierbar, heißt es. Negative Einzelerfahrungen und Gerichtsfälle werden auf die Gruppe allgemein bezogen – möge der Einzelne auch offen, tolerant und friedfertig sein.

Diese Grundstimmung macht es schwer, auf die Probleme hinzuweisen, die mit den geplanten rund 80.000 Rückbringungen negativ beschiedener Afghanen aus der EU in ihr Heimatland einhergehen. Besser gesagt: auf die dadurch bedingte weitere Verschärfung der in Afghanistan bestehenden großen politischen und sozialen Probleme.

Pakistan will Afghanen loswerden

Denn es kehren derzeit nicht nur aus der EU viele Menschen in den nach wie vor krisengeschüttelten, in etlichen Regionen von den radikalislamischen Taliban mitdominierten Staat zurück. Sondern es kommen unvergleichlich mehr Afghanen aus Pakistan sowie auch aus dem Iran: Nachbarländer, wohin viele Afghanen flohen, nachdem 1979 die Sowjets in ihr Land einmarschiert waren, sowie ab 1996, als die Taliban die Macht übernahmen.

Pakistan etwa bemüht sich schon seit über zehn Jahren, so viele Menschen aus dem Nachbarstaat wie möglich zur Rückkehr zu bewegen. Die eingesetzten Mittel wurden zuletzt drastischer: Arbeitsbewilligungen für Afghanen wurden nicht verlängert, ihre Geschäfte geschlossen, ihre Häuser oder Wohnungen konfisziert.

Ohne Anknüpfungspunkte

Das hat die Zahl von Rückkehrern im letzten Quartal 2016 auf 240.000 Personen in die Höhe schnellen lassen. Für heuer erwartet das Flüchtlingshochkommissariat UNHCR, das Pakistan-Rückkehrer unterstützt, zwischen 750.000 und eine Million Menschen. Darunter viele, die in Pakistan geboren wurden und in Afghanistan keinen Anknüpfungspunkt mehr haben.

Nun braucht man nicht viel Fantasie, um nachzuvollziehen, was eine Million Rückkehrer für ein politisch gebeuteltes Land mit geschätzten 33 Millionen Einwohnern bedeuten. Laut dem aktuellen UN-Sicherheitsratsbericht vom 3. März hat sich in Afghanistan sowohl die Sicherheits- als auch die Versorgungslage 2016 zunehmend verschlechtert.

Weitere Destabilisierung durch zu viele Rückkehrer erscheint nicht unwahrscheinlich. Eine Destabilisierung, die keineswegs im Interesse der internationalen Gemeinschaft sein kann – zumal sich in Afghanistan seit Ende der 1970er-Jahre die Lage bereits mehrmals stark zugespitzt hat. Vielleicht sollte man sich das in Österreich und der EU auch überlegen, trotz mehrheitlicher Zustimmung zu den Abschiebungen. (Irene Brickner, 5.4.2017)