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Die Pariser Medien nannten sie am Mittwoch die "Show der Kleinen". Als Reaktion auf die erste Präsidentenwahl-Debatte im März, bei der nur die fünf Favoriten geladen waren, durften nun sämtliche elf Kandidatinnen und Kandidaten aufs Fernsehpodium. Mit nahender Wahl verlangt der Medienaufsichtsrat CSA die mediale Gleichbehandlung aller Bewerber. Zur Wahrung der mediendemokratischen Korrektheit strahlen die Pariser Fernsehsender nun ellenlange Interviews mit den chancenlosen Kandidaten aus – gegen drei Uhr morgens.

Am Dienstagabend hatten diese "Kleinen" ihren großen Auftritt. Zur Hauptsendezeit hatten sie insgesamt 16 Minuten zur Verfügung, um sich den Wählern in bleibende Erinnerung zu rufen und die Schwelle von einem Prozent Umfragestimmen zu überspringen. Der Kandidatenveteran Jacques Cheminade will zum Beispiel nicht nur den Mond bevölkern, sondern mit Investitionen von 100 Milliarden Euro fünf Millionen Jobs schaffen – was die Rekordarbeitslosigkeit Frankreichs auf einen Schlag ausmerzen würde.

Philippe Poutou ritt eine harte Attacke gegen die beiden in Veruntreuungsaffären verwickelten Rechtskandidaten François Fillon und Marine Le Pen. "Da erklärt uns ein Typ, dass wir sparen sollen, aber er selbst langt tief in die Kasse", meinte der im T-Shirt antretende Trotzkist ohne weitere Umstände.

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Hauptzielscheibe war jedoch die EU. Von der engstehenden Elferrunde verlangten deren sechs ein "anderes Europa", wie sich etwa Poutou meinte. Ihm und der zweiten Trotzkistin, Nathalie Arthault, schwebt ein "europäisches Staatsmonopol" vor – also in etwa die Verstaatlichtung der EU. Der Ultragaullist Nicolas Dupont-Aignan will ein "Europa der Nationen" ohne EU-Apparat, Cheminade ein Ende des Euro, und der Linke Jean-Luc Mélenchon die Aufkündigung der EU-Verträge durch Frankreich.

Le Pen gegen Frexit

Am weitesten geht relativ unbekannte Politveteran François Asselineau, der sich als Kandidat des "Frexit" bezeichnete, das heißt des französischen EU-Ausstieges. Das führte zum bemerkenswerten Umstand, dass die Front National-Kandidatin Marine Le Pen europapolitisch als geradezu gemäßigt dastand: Sie kritisierte Asselineaus Szenario als "brutal", während sie selbst mit Brüssel über die Rückgabe von EU-Kompetenzen reden möchte; im Fall des Scheiterns der sechsmonatigen Verhandlungen würde sie zuerst noch eine Volksabstimmung ansetzen.

Le Pens wichtigster Widersacher Emmanuel Macron brandmarkte diese Darstellung eines "weichen" Ausstiegs als Schönfärberei: "Der Euro-Ausstieg, den Sie vorschlagen, bedeutet eine Senkung der Kaufkraft und die Zerstörung von Jobs sowie Wirtschaftskrieg", meinte Macron an die Adresse Le Pens. "Sie wollen den Nationalismus, doch Nationalismus heißt Krieg!" Le Pen verdrehte gespielt die Augen und konterte: "Man sollte sich nicht als modern präsentieren, wenn man stets die alte Leiter singt." Darauf Macron: "Sie verbreiten Lügen, die man seit vierzig Jahren hört, und die man schon aus dem Mund ihres Vaters hörte."

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Die EU-Befürworter blieben trotzdem in der Defensive. Macron erkläte umständlich, er wolle von Deutschland mehr Investitionen auf europäischer Ebene verlangen; der Sozialist Benoît Hamon plädierte für eine parlamentarische Versammlung der Euro-Staaten, während Fillon das Regelwerk der EU abbauen will. In Umfragen sind die Franzosen mehrheitlich gegen den "Frexit" oder einen Euro-Ausstieg. Keineswegs vergessen ist allerdings, dass die Franzosen 2005 zu fast 55 Prozent gegen die geplante EU-Verfassung gestimmt hatten.

Beim ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen vom 23. April sehen die Umfrageinstitute weiterhin Le Pen und Macron mit je 25 Prozent in Führung. Fillon bleibt mit 17 Prozent klar zurück. Mélenchon rückt ihm mit 15 Prozent immer näher, während Hamon teilweise auf unter 10 Prozent gesunken ist. Demoskopen glauben allerdings, dass sich vor allem Rechtswähler weniger outen als andere. Macron kommt auf besonders viele nur halbwegs entschlossene Wähler. Aus all diesen Gründen gilt die französische Präsidentschaftswahl 2017 als die offenste dieses Jahrhunderts. (5.4.2017)