Im April beginnt rund um Tarifa, der südlichsten Stadt des europäischen Festlandes, die Kitesurf-Saison. Und im Frühjahr haben auch die Walbeobachter Hochsaison in der Straße von Gibraltar.

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Es kann eng werden auf dem Wasser, vor allem, wenn rund 300 Kitesurfer versuchen einen Weltrekord aufzustellen. So geschehen im Jahr 2014.

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Es lässt sich am Strand von Tarifa aber auch ganz hervorragend reiten.

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Der Wind schlägt das Meer schaumig, wirbelt durch die Haare und schmirgelt die Haut mit feinem Sand. Am Himmel schiebt er bunte Drachenschirme hin und her. Sucht man mit den Augen die dazugehörigen Kiter auf dem Wasser, müssten sich die Drachenschnüre hoffnungslos ineinander verheddern. Doch offenbar flitzen die Kiter mit genügend Abstand auf ihren Brettern über die Wellen. Braucht man viel Kraft dafür? "Nein, Kitesurfen ist sozusagen ein Mädchensport", meint Andreas aus Flensburg, der regelmäßig zum Kiten nach Tarifa kommt. "Frauen lernen das in der Regel schneller, weil es weniger auf Kraft ankommt als auf die richtige Technik."

Der windverwöhnte Norddeutsche nimmt die Anreise mit dem Flugzeug nach Tarifa an der Südspitze Spaniens gerne in Kauf. Kilometerlange, unverbaute Strände bieten Platz für Hunderte von Surfern, und die Saison beginnt bereits im April. Vor allem aber weht an mehr als 300 Tagen im Jahr der Wind mit durchschnittlich 4,5 Beaufort: der Poniente aus dem Westen und der Levante aus dem Osten – Übeltäter für Badegäste, aber echte Wohltäter für die Kiter. So manche Böe stupst sie für einen Luftsprung in den Himmel.

Sommerhitze zerschneiden

Tarifa, die südlichste Stadt des europäischen Festlandes, besitzt einen besonders lässigen Charme. In den Straßen reihen sich die Surfschulen aneinander, braun gebrannte Typen mit Dreitagebart latschen in Flip-Flops herum oder frühstücken mittags in den hippen Cafés. Die Nächte beginnen spät und sind lang. Selten vor 22 Uhr tummeln sich die Feierlaunigen abends in der Altstadt vor den Tapasbars. Tagsüber kann man von der Burg am Hafen bei guter Sicht die 14 Kilometer entfernte afrikanische Küste sehen.

Auch im Hinterland ist der Wind spürbar, auf küstennahen Hügeln drehen sich Windräder um die Wette. Wie überdimensionale Häcksler werden sie im Sommer die Hitze in angenehmere Temperaturen zerschneiden. Hier beginnt der Naturpark Alcornocales, das Reich der Korkeichen. Mit 1.700 Quadratkilometern ist dieser Wald einer der größten naturnahen im Mittelmeerraum.

Wo die Zeit steht

Am besten durchquert man das geschützte Gebiet im Frühling per Fahrrad. Auf Lehm- und Schotterwegen geht es auf und ab. Die Bäume, aus deren Rinde unter anderem Weinkorken hergestellt werden, wachsen windschief an den Hängen, manche gar waagerecht. Die Wälder profitieren von der feuchten Atlantikluft, die der Poniente mit sich bringt. Kaum eine Menschenseele ist unterwegs, stattdessen stapfen Ziegen, Schafe, schwarze Schweine und Stiere "in Pension" über die Felder. Haben letztere in der Arena von Tarifa, wo Stierkämpfe noch immer nicht verboten sind, überlebt, grasen sie hier bis zu ihrem natürlichen Tod.

Ein Natursteinpfad, der schon zu Römerzeiten angelegt wurde, führt zwischen Schöpflavendel und Sonnenröschen den Hügel hinauf nach Castellar de la Frontera. Oben thront auf einem Felsvorsprung eine alte Festung aus maurischer Zeit, die Besucher mit ihren dicken Mauern in die Arme nimmt. Im Innern scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. In trutzigen Gassen hängen Geranien in Blumentöpfen vor den weiß gekalkten Häusern, Katzen streichen übers Kopfsteinpflaster.

Orcas auf Thunfischjagd

Das Castillo ist eine der wenigen bewohnten Festungen. Einige Aussteiger haben sie vor Jahren für sich entdeckt. Von oben hat man einen wunderbaren Blick über die Korkeichenwälder und auf den Guadarranque, einen von sechs Stauseen im Naturpark. Dort zieht gerade ein Adler seine Kreise. Der Südzipfel Spaniens zählt für Vogelbeobachter zu den lohnendsten Gegenden Europas: Schwarzmilane, Wespenbussarde, Schlangenadler und jede Menge Störche gibt es zu entdecken.

Wenn über dem Meer aufgeregte Sturmtaucher kreisen, ist meist ein Fischschwarm in der Nähe, der auch Delfine anlockt. Weil an der Meerenge nährstoffreiches Tiefenwasser aus dem Mittelmeer aufsteigt, finden Fische und somit auch Wale reichlich Nahrung. Im Frühjahr und Herbst, wenn die Thunfische durch die Meerenge von Gibraltar schwimmen, folgen die Orcas den Fischerbooten. Mit einem Labyrinth aus Netzen, der sogenannten Almadraba, werden die Thunfische kilometerweit vor der Küste eingekesselt und in eine Richtung gedrängt.

Pottwal auf neun Uhr

Außerhalb der Fangzone warten schon japanische Kühlschiffe auf den besonders beliebten roten Thunfisch. Doch je mehr abgefischt wird, desto weniger bleibt für die Orcas. Auch der rege Schiffsverkehr in der Passage gefährdet den Lebensraum. Deshalb hat das spanische Umweltministerium mittlerweile ein Tempolimit auf dem Wasser eingeführt.

Zu verdanken ist das unter anderem der Schweizerin Katharina Heyer, die sich seit fast 20 Jahren für den Schutz der Meeressäuger einsetzt. Ihre Stiftung hat zum Schutz der Wale verhindert, dass eine dritte Fährlinie nach Marokko entsteht. Noch immer führt die 73-Jährige Bootstouren zur Walbeobachtung selbst durch.

Hoher Wellengang

An diesem Tag versammeln sich gut 50 Interessierte auf ihrem Motorschiff. Bald tauchen die ersten Streifendelfine auf. Das Meer ist so klar, dass man das Gesicht der Tiere unter Wasser erkennen kann. "Pottwal auf neun Uhr", schallt es dann aus dem Bordlautsprecher. Und alle stürmen zur Reling auf Backbord. Wie ein Baumstamm scheint das 18 Meter lange Tier im Wasser zu treiben. Beim Auftauchen sieht man den kastenförmigen Kopf. Pottwale leben in 3.000 Meter Tiefe, wo sie sich unter anderem von Riesenkalmaren ernähren. Nur rund alle 80 Minuten müssen sie zum Luftholen auftauchen.

Manche Wale trifft Katharina Heyer immer wieder und hat ihnen schon Namen gegeben. Einmal konnte sie erleben, wie Pottwale sich paaren, umringt von zig Delfinen. "Sie halfen sich gegenseitig beim Umdrehen, das war fantastisch", schwärmt sie. Der hohe Wellengang lässt das Boot nun heftiger schaukeln und einige Walbeobachter werden ganz grün im Gesicht. Nicht alle schätzen den permanenten Wind am Ende Europas gleichermaßen. (Monika Hippe, 9.4.2017)