Im Gegensatz zu Frauen beschränken die Männer ihre Investition in glatte Haut eher auf die Sommermonate.
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Bald ist sie wieder da, die Zeit der Ruderleiberln und Tanktops, der kurzen Hosen und Trägerkleider. Ein bisschen noch, und es braucht Badehose oder Bikini. Selbst Enthaarungsmuffel raffen sich spätestens dann zur Achselhaar- oder Beinrasur auf. Ein Minimalprogramm, das nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit ist.

Sauna- oder Indoorfitness-Fans ist es auch während der kalten Monate bewusst: Das Körperhaar macht sich rar. Ob in der Sauna, in Gemeinschaftsduschen und bald auch wieder im Freibad, besonders im FKK-Bereich: Immer mehr Menschen präsentieren sich halsabwärts glatt. Und die Haut ist dabei auch noch in perfektem Zustand. Keine Stoppel zeugt von Dilettantismus oder Schlendrian.

Frauen und immer öfter auch Männer lassen regelmäßig Profis ans Werk. Zum Beispiel Mitarbeiterinnen der zur lokalen Berühmtheit avancierten Katja Wagner, die in Wien ein Waxing-Studio betreibt und gegen Auflagen für ihr Geschäftslokal protestierte. Auflagen, die – sagte Wagner in einem Interview mit dem STANDARD – aus dem Jahr 1998 stammen. Eine Zeit, "in der es noch keine Waxing-Studios gab", ärgerte sich die Salonbesitzerin. Eine Zeit, in der noch Haare sprießen durften.

Großflächiges Angebot

Es ist in der Tat eine rasante Entwicklung, die Wagner mit ihrem Aufstand ins Bewusstsein rief und so die frühjährlichen subjektiven Beobachtungen ein wenig objektivierte. Das Angebot ist seit 1998 groß geworden – und vor allem großflächig: Brazilian Waxing, also Haarentfernung im Intimbereich, Waxing im Gesicht, am Rücken, an Unterschenkeln, Oberschenkeln, an den Armen, in den Achseln, an den Pobacken und -für ganz genaue – in der Pofalte.

Den Haaren wird mittlerweile auch gern mit Sugaring zu Leibe gerückt, einer Methode, bei der nicht Wachs, sondern eine Paste auf Zuckerbasis eine noch gründlichere Haarentfernung bei weniger Schmerzen verspricht.

Völlig unbemerkt bleibt die Behandlung freilich dennoch nicht. "Die Haare werden trotzdem ausgerissen, im Unterschied zum Wachs wird aber die Haut weniger mitgezerrt" erklärt Nesrin Idowu, Inhaberin des Salons Beauty Home in Wien. Ihr Waxing-Studio wird zunehmend von Männern frequentiert, sie stellen derzeit etwa dreißig Prozent der Kundschaft.

Im Gegensatz zu Frauen beschränken die Männer ihre Investition in glatte Haut eher auf die Sommermonate, weiß Idowu. Frauen lassen sich ihrer Erfahrung nach das ganze Jahr waxen – auch im Intimbereich, eine Prozedur, über die sich "Männer noch sehr selten drübertrauen", sagt die Kosmetikerin.

Wer dauerhaft glatt sein will, muss alle drei Wochen auf den Tisch. Die Kosten für glatte Haut bis zum Nabel inklusive Achselhöhlen liegen zwischen 100 und 150 Euro – im Monat.

Intimwaxing ist in Europa durch die kulturelle Globalisierung angekommen. "Vor allem im Süden ist es schon länger gang und gäbe", erklärt Paula-Irene Villa, Soziologin und Genderforscherin an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. "Körperhaare werden historisch und im Rahmen rassistischer Kolonialpolitik als unzivilisiert, primitiv und demnach als nicht ganz menschlich erachtet."

Vorreiter Brasilien

In Brasilien setzte sich Intimenthaarung schon in den 1980ern weitgehend durch, auch in den USA fand sie schnell großen Anklang. Von da an leistete nicht zuletzt die Populärkultur ihren Beitrag. Denn viele Jahre, bevor sich Stars wie Madonna oder Miley Cyrus mit wucherndem Achselhaar auf Instagram rebellisch gaben, redeten Kate Winslet oder Victoria Beckham öffentlich über die Vorteile von Ganzkörperwaxing.

Und Serien wie "Sex and the City" tragen bekanntlich immer ihr Scherflein zu Schönheitspraktiken bei. Dass tausendfach fotografierte und schwerreiche Stars Zeit und Geld in den perfekt enthaarten Körper stecken, leuchtet ein.

Weniger hingegen, warum es die aufwendige und endlose Praxis tatsächlich in den Alltag normaler Menschen geschafft hat. Für die britische Journalistin und Feministin Caitlin Moran ist die Zeit und das viele Geld, das Frauen in die Intimenthaarung investieren, nichts anderes als eine "Vagina-Steuer".

Im Badezimmer gefangen

Doch ein wachsendes feministisches Bewusstsein heißt nicht, dass Schönheitspraktiken per se der Garaus gemacht werden soll. Die Kritik daran ist auch nur eine Seite der Medaille: Einerseits protestieren viele Frauen wie Moran sehr wohl gegen eine "Komplizenschaft zwischen Patriarchat und Kapitalismus", die Frauen von Wichtigerem ab- und sie quasi im Badezimmer gefangen halte.

Ein naheliegender Verdacht – immerhin begannen Frauen sich erst in Scharen zu rasieren, als 1915 die Firma Gillette erstmals einen Damenrasierer auf den Markt brachte – mitten im Ersten Weltkrieg, als der Verkauf regulärer Männerrasierer einbrach. Ab da war Schluss mit dem Körperhaar bei Frauen, das bis ins späte viktorianische Zeitalter durchaus als erotisch galt.

Auf der anderen Seite nutzen viele Feministinnen Schönheitspraktiken als Mittel für eine kreative Inszenierung des Körpers – und werfen sich mit sprießendem Achselhaar ins Schlauchtop oder kombinieren ihr kesses Damenbärtchen zum knallroten Lippenstift. Enthaart wird, wann und wo es gerade passt oder Spaß macht. Schönheitspraktiken funktionieren somit auch als Widerstand gegen rigide Normen. Trotzdem könne aus Sich-schön-machen-Können potenziell ein Sich-schön-machen-Müssen werden, sagt Genderforscherin Villa.

Der beherrschte Körper

Dass die Norm zum glatten Körper verbindlicher geworden ist, liege schlicht an einer forcierten Vermarktung und Erweiterung von Schönheitsprodukten und Behandlungen. "Wir erleben eine Intensivierung dessen, was seit Jahren vorherrscht", bewertet die Soziologin die aktuelle Entwicklung. Insbesondere beim Waxing sieht sie ein "skulpturales" Körperideal am Werk.

"Wie Marmorstatuen sollen die Körper muskulös geformt, glatt, verschlossen und kompakt sein." Damit solle nicht nur eine schöne Oberfläche zur Schau gestellt werden, sondern auch maximale Kontrolle über den Körper. "Die Menschen zeigen damit, dass sie ihren Körper vollkommen im Griff haben – der Körper steht so für Selbstgestaltung und Autonomie".

Und schließlich sei da noch die Sache mit der Pornografie, die viele für den Trend zur Komplettenthaarung verantwortlich machen. Genau genommen der "heterosexuelle Mainstream-Porno", präzisiert Villa. Darin sind Genitalien immer völlig unbehaart, maximale Sichtbarkeit ist oberstes Gebot.

Durch den enormen Anstieg an Präsenz und Verfügbarkeit von Mainstream-Pornografie reicht dieser gynäkologische Blick der Kamera heute tatsächlich weit über das Pornogenre hinaus. Wie weit, wird sich in den ersten heißen Tagen des Jahres wieder zeigen. (Beate Hausbichler, 8.4.2017)