Albert Hofmann mit einem LSD-Modell in seinem Labor in Basel. 1938 synthetisierte er das Halluzinogen erstmals, fünf Jahre später entdeckte er – versehentlich – dessen ungeheure Wirkung.

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Hofmann 2006 im Alter von 100 Jahren bei einem Vortrag in Basel.

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Wien – Es war, so erinnerte sich Albert Hofmann später, eine "merkwürdige Ahnung", den Stoff unterschätzt zu haben, die ihn im Frühjahr 1943 erfasste. Er entschied sich, das Derivat doch noch einmal herzustellen. Fünf Jahre zuvor hatte er Lysergsäurediethylamid (kurz: LSD-25) in einem Labor des Pharmakonzerns Sandoz in Basel erstmals synthetisiert, doch dann nicht mehr weiter damit gearbeitet.

Der Chemiker hatte sich im Rahmen seiner Forschung am Mutterkornpilz (Claviceps purpurea) die toxischen Alkaloide dieses gefährlichen landwirtschaftlichen Schädlings vorgenommen. Seit dem 17. Jahrhundert wurde Mutterkorn in der Volksmedizin verwendet – vor allem in der Geburtshilfe, da einige Inhaltsstoffe starke Wehen auslösen.

Auf der Suche nach neuen Anwendungen war Hofmann 1938 auf LSD-25 gestoßen und hatte eine kreislaufstimulierende Wirkung vermutet. Doch eine Prüfung durch die pharmakologische Abteilung des Unternehmens hatte keine vielversprechenden Eigenschaften ergeben, die Tests wurden eingestellt. Hofmann forschte in eine andere Richtung weiter – bis er sich am Freitag, dem 16. April 1943, abermals an die LSD-Synthese machte.

Erster Kontakt

Dabei geschah etwas Unvorhergesehenes: Plötzlich auftretende Unruhe und ein Schwindelanfall zwangen ihn, die Arbeit abzubrechen. "Zu Hause legte ich mich nieder und versank in einen nicht unangenehmen, rauschartigen Zustand, der sich durch äußerst angeregte Phantasie kennzeichnete", hielt Hofmann in einem Bericht an seine Vorgesetzten fest. Es folgten visuelle Halluzinationen, ehe der Spuk nach zwei Stunden wieder vorbei war.

Was war geschehen? Wie immer, wenn Hofmann mit hochgiftigen Mutterkornsubstanzen hantierte, war er mit penibler Vorsicht vorgegangen. Könnten dennoch minimale Spuren der Substanz durch die Haut resorbiert worden sein? Ausgeschlossen war es nicht, und Hofmann war klar: Wenn das den Zwischenfall ausgelöst hatte, musste LSD-25 eine enorm wirksame Substanz sein.

Horrortrip mit Happy End

In den folgenden Tagen fasste der verheiratete Vater dreier Kinder einen Entschluss, der einen heute zwischen Bewunderung und Entsetzen schwanken lässt: Er entschied sich zum Selbstversuch. Montags darauf verabreichte sich Hofmann die kleinste Dosis, von der seinen Berechnungen zufolge noch eine feststellbare Wirkung zu erwarten war: 0,25 Milligramm LSD. Wie sich später herausstellen sollte, entspricht das etwa dem Fünffachen einer normal wirksamen Dosis.

Nach der Einnahme machte sich der Chemiker daran, seinen Selbstversuch zu protokollieren, doch schnell fiel ihm das Schreiben schwer. Mit großer Mühe bat er seine Laborantin, ihn nach Hause zu begleiten. "Schon auf dem Heimweg mit dem Fahrrad nahm mein Zustand bedrohliche Formen an. Alles in meinem Gesichtsfeld schwankte und war verzerrt wie in einem gekrümmten Spiegel", schrieb er später in seinem Nachbericht.

Auf albtraumhafte Stunden der Verzweiflung und Angst, wahnsinnig zu werden, folgte ein positiver Ausklang: "Jetzt begann ich allmählich, das unerhörte Farben- und Formenspiel zu genießen, kaleidoskopartig sich verändernd drangen bunte phantastische Gebilde auf mich ein." Bemerkenswert erschien dem Chemiker, dass er sich trotz des intensiven Rausches an alle Einzelheiten des Erlebten erinnern konnte.

Anwendungen aller Art

LSD entpuppte sich als eines der stärksten Halluzinogene der Welt – und Hofmann erkannte das Potenzial für die Psychiatrie sofort. 1949 kam das Präparat unter dem Namen "Delysid" in den Handel. Doch bei psychiatrischen Anwendungen sollte es nicht bleiben: Bald entdeckte die Hippiebewegung die Wirkung von LSD für sich, der Einfluss der Substanz auf die gesellschaftlichen Entwicklungen der 1960er- und 1970er-Jahre ist nicht zu unterschätzen. Ab Mitte der 1960er-Jahre wurde LSD nach und nach verboten (in Österreich 1971), auch die Forschung dazu kam zum Erliegen.

Hofmann beobachtete diese Entwicklungen mit Bedrückung. In seinem 1979 erschienenen Buch LSD – Mein Sorgenkind warnte er vor einem leichtfertigen Einsatz als Genussmittel ebenso wie vor einem Verbot der medizinischen Forschung und Anwendung. "Wenn man lernen würde, die Fähigkeit von LSD, unter geeigneten Bedingungen visionäres Erleben hervorzurufen, in der medizinischen Praxis besser zu nutzen, dann könnte dieses neuartige Psychopharmakon vom Sorgenkind zum Wunderkind werden."

Doch lange blieb es, abseits der illegalen Nutzung als Rauschmittel, ziemlich still um LSD. Erst in den vergangenen Jahren rückte die Substanz wieder stärker in den Fokus der Wissenschaft. Weltweit untersuchen immer mehr Forschungsgruppen, was genau unter dem Einfluss des Halluzinogens im Gehirn passiert und ob das Potenzial der Substanz in der Behandlung von Suchterkrankungen, Angststörungen oder Depressionen genutzt werden könnte.

Neues Forschungsinteresse

Forscher um Stefan Borgwardt (Universität Basel) untersuchten etwa, wie LSD auf die Amygdala wirkt – eine Hirnregion, die zentral für die Verarbeitung von Emotionen ist. Wie sie Anfang April im Fachblatt "Translational Psychiatry" berichteten, kann das Halluzinogen offenbar "entängstigen": Die Wahrnehmung von Angst unter LSD-Einfluss führt zu einer deutlich niedrigeren Aktivität dieser Hirnregion, wie die Studie an 20 gesunden Probanden ergab.

"In einem zweiten Schritt zeigte sich: Je niedriger die LSD-induzierte Amygdala-Aktivität einer Person war, desto höher war der subjektive Drogeneffekt", sagte Borgwardt dem STANDARD. "Eine klinische Frage ist nun, inwieweit diese 'entängstigende' Wirkung für therapeutische Zwecke genutzt werden kann."

Könnte LSD also doch zu dem Wunderkind werden, das Albert Hofmann im Sinn hatte? Durchaus denkbar, er selbst wird es aber nicht mehr erfahren: Der bis zuletzt umtriebige Chemiker starb 2008 im Alter von 102 Jahren. (David Rennert, 15.4.2018)

Dieser Artikel ist ursprünglich am 16.4.2017 erschienen.