Richard Leadbetter gilt in der Gamesbranche aufgrund seiner kompetenten und kritischen Berichterstattung als führender Technologiejournalist. Bei der exklusiven Hardware-Vorstellung der Xbox Scorpio machte er sich allerdings auch zum Sprachrohr der Konzern-PR.

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Gleich sechs Artikel und mehrere Videos widmeten Eurogamer und Digital Foundry der exklusiven Vorstellung der Xbox Scorpio. Kritische Berichterstattung zu Microsofts Erstdemonstration der Hardware war allerdings auch eine Woche nach dem viel beachteten Reveal nur auf anderen Medien zu lesen.

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Eigentlich hatte man in der Vergangenheit bei Microsoft nicht so große Freude mit dem einflussreichen Technologieblog Digital Foundry, das als Hardware-Spezialist Teil der Eurogamer-Gruppe ist. In den letzten Jahren hatten die Technik-Experten immer wieder Kritik an der Performance, der Architektur und der generellen Ausrichtung der Xbox One geäußert. Umso erstaunlicher ist es, dass Anfang April ausgerechnet Digital Foundry als einziges Medium weltweit die kommende verbesserte Version der Xbox One mit dem Codenamen "Scorpio" vorab analysieren und vorstellen durfte – ein exklusiver Deal, wie es ihn bislang bei der Präsentation kommender Konsolen nicht gab. Beim Pressereveal von Sonys Playstation 4 Pro letzten Herbst, bei dem Digital Foundry ein erstes exklusives Hands-on gewährt wurde, waren zumindest auch noch andere Vertreter anderer Medien geladen.

Die Wahl des Exklusivpartners hatte Symbolkraft: Microsoft, so die überraschten Analysten, müsse gewaltiges Vertrauen in seine neue Hardware haben, um ausgerechnet seinem schärfsten Kritiker die Berichterstattung über das neue Produkt anzuvertrauen. Das Urteil von Digital Foundry, effektvoll auf mehrere Tests, Analysen, erklärende Artikel und Meinungskolumnen verteilt, fiel tatsächlich überschwänglich positiv aus: "Scorpio pusht Konsolenhardware auf ein neues Level", so das Resümee der beeindruckten Hardware-Spezialisten. Ein PR-Coup – sowohl für Microsoft wie auch für Digital Foundry. Zeitweise fielen sogar die Eurogamer-Server unter dem Ansturm neugieriger Besucher aus.

Leise Kritik von draußen

Die Kritik an Microsofts neuem Spielgerät kam dann doch – allerdings verspätet, aus zweiter Hand und, bei dieser Art der Präsentation unvermeidlich, von außen. Der Tenor: Bei all der Begeisterung sei die Tatsache unter den Tisch gefallen, dass Microsoft außer "Forza" kein einziges Spiel präsentieren wollte, das diese Hardware auch ausreizt – "das schwarze Loch inmitten des technologiebasierten Scorpio-Wirbels sind die Videospiele", meinte etwa Rich Stanton von Kotaku. Dass zugkräftige (Exklusiv-)Titel wie "Zelda: Breath of the Wild" auch auf Nintendos weitaus schwächerer Hardware zu System-Sellern avancieren, sei eine Lehre, die Microsoft bei aller Technikverliebtheit außer Acht ließe. In dieser Hinsicht ist das Hardware-Spezialistenblog Digital Foundry auch deshalb ein clever gewählter Partner, weil dessen Fokus eben auf der reinen Technik, nicht so sehr auf der Software liegt. Dass ein abschließendes Urteil über die Konsole erst bei Release und bei Vorliegen eines Spielekatalogs möglich sei, bleibt auch bei Digital Foundry nicht unerwähnt.

Die Kritiker aus anderen Branchenmedien fanden sich aber jedenfalls in einer ungewohnten Situation: Statt wie sonst üblich ebenfalls mit am Tisch zu sitzen und über das Produkt selbst zu urteilen, blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich nur auf die Berichterstattung des von Microsoft auserwählten Sprachrohrs bei der Konkurrenz zu beziehen. Und dessen Informationen waren streng kontrolliert: Statt freien Zugangs zur Konsole bekamen die Journalisten in Redmond sorgfältig ausgewählte Tech-Demos, Informationshäppchen und eine ganz genau auf sie abgestimmte PR-Show geboten. Richard Leadbetter von Digital Foundry äußerte sich in einem Interview mit USGamer sogar überrascht darüber, wie genau Microsoft speziell seine Erwartungen übererfüllte: "Das Witzige ist, dass Microsoft ganz genau wusste, was ich erwarte, weil ich das schon letztes Jahr in einem Video veröffentlicht habe … Dass die GPU-Frequenzen jetzt viel höher als meine Vorhersagen ausfallen, hat mich ziemlich überrascht. An meiner Reaktion haben die von Microsoft sichtlich Spaß gehabt." Den Vorwurf, sich durch den "Exklusiv-Deal" geblendet von Microsofts PR-Maschine instrumentalisieren zu lassen und die sonst hochgehaltene kritische objektive Distanz hintanzustellen, muss sich Digital Foundry nun zu Recht gefallen lassen.

Historisches PR-Debakel

Dass sich Microsoft im Umgang mit den Medien, aber auch mit der Öffentlichkeit in der Vergangenheit wiederholt in die Nesseln gesetzt hat, ist sicher ursächlich für die nun geänderte Strategie verantwortlich. Gutzumachen gab es da einiges. Wir erinnern uns: Schon die erste Vorstellung der Xbox One im Mai 2013 galt als PR-Desaster. Vor allem die angekündigte Unmöglichkeit, gebrauchte Spiele weiterzugeben, führte zu wütenden Protesten der Spielerschaft. Auch die übergroße Betonung der TV-Funktionalitäten der Xbox One, die Vernachlässigung eines attraktiven exklusiven Games-Lineups und weitere große und kleine Peinlichkeiten beim Reveal wurden von Presse und Community gnadenlos zerpflückt.

Schon im Vorfeld war viel Porzellan zerschlagen worden: Die schnippische Bemerkung Adam Orths, damals Kreativdirektor bei Microsoft Studios, die Spielerinnen und Spieler müssten sich mit dem Online-Zwang der Konsole "einfach abfinden" ("deal with it"), führte zuerst ebenfalls zum Aufschrei nicht nur in den sozialen Medien und schlussendlich sogar zur Kündigung Orths. Dass Microsoft auch gegen Kundenwunsch die ungeliebte und teure Kinect zuerst als alternativlosen Pflichtbestandteil seiner Konsole verstanden wissen wollte, sorgte ebenso für Unmut – und einen späten, kleinlauten Rückzieher.

Neue Strategie

Es ist also nachvollziehbar, dass man sich in Redmond nun mit seinem neuen Projekt weniger Fehler in der Kommunikation leisten will. Trotzdem hat die exklusive Partnerschaft mit einem einzigen Medienpartner einen schalen Beigeschmack – und dieser sollte nicht nur den benachteiligten anderen Medien, sondern auch Spielerinnen und Spielern auffallen: Durch das Gewähren einer "exklusiven", streng kontrollierten und noch dazu auf deren Vorlieben zugeschnittenen Story ausgerechnet an die historisch stärksten Kritiker sichert sich Microsoft fast automatisch deren Wohlwollen. Mit großem Mut oder dem Vertrauen in die eigene Hardware hat das weniger zu tun – eher schon mit einem neuen, stark kontrollierten Ansatz in Sachen PR, Marketing und Medienkooperation.

Man muss nicht die kruden Verschwörungstheorien von gekaufter Presse auspacken, um diese enge Verbindung zwischen Berichterstattung und Branche zu kritisieren. Dass Geld vonseiten Microsofts geflossen ist, um sich wohlwollende Berichterstattung zu kaufen, ist angesichts der Professionalität aller Beteiligten kaum denkbar. Im Gegenteil handelt es sich bei dieser Form der Kooperation um Win-win-Situationen, die keine weiteren Anreize benötigen. Schon 2013 hat Richard Leadbetter von Digital Foundry zum Anlass eines Interviews mit den Architekten der Xbox One selbst Stellung zu diesem Problem bezogen: "Die Frage, die sich viele zweifellos stellen, ist die: Ist das hier ein freies Interview oder eine PR-Übung? Machen wir uns nichts vor: Jedes Interview, das publiziert wird, ist eine Art von PR für den Interviewten."

PR statt Berichterstattung?

Immer öfter passiert es, dass die Videospielbranche die Kontrolle über ihre streng durchchoreografierte PR-Maschinerie möglichst nicht aus der Hand geben will und neutrale, objektive Berichterstattung eher als störend empfindet – die letztjährige Entscheidung von Videospiel-Publishern, keine Vorab-Rezensionsexemplare mehr an die Presse zu verschicken, geht in dieselbe Richtung wie Microsofts Exklusiv-Zusammenarbeit mit einzelnen Outlets jetzt. Diese ungesunde Vermischung ist ausschließlich zum Vorteil der Industrie sowie einiger weniger Outlets, die sich damit mehr oder weniger freiwillig abhängig machen. Dass die enge Verbandelung von Industrie, Werbung und Presse problematisch ist, hat ironischerweise nicht zuletzt Eurogamer vor fünf Jahren aus Anlass des berüchtigten "Doritogate" selbst thematisiert. Natürlich muss diese Nähe der Beteiligten eine objektive Berichterstattung nicht verhindern oder einschränken; fördern wird es sie aber gewiss nicht.

Kann man einen angriffigen Kritiker mundtot machen, indem man ihn umarmt? Ganz so einfach ist die Sache naturgemäß nicht. Wäre die Scorpio ein Mogelpaket, hätte das vermutlich auch in den Bericht von Digital Foundry Eingang gefunden – die Seite genießt immerhin einen hervorragenden Ruf als eine der seriösesten Quellen für objektive Berichterstattung. Dass aber das Image des Medienpartners in ein schiefes Licht gerät, weil seine Objektivität in dieser besonderen Beziehung zumindest hinterfragbar wird, ist ein Kollateralschaden, der von vielen Klicks nur temporär aufgewogen wird.

Der Kunde verliert

Und einen weiteren Nebeneffekt hat diese selektive Informationsvergabe: Wenn andere Medien Kritik an diesen sich durchsetzenden Praktiken oder auch nur am "exklusiv" andernorts vorgestellten Produkt äußern, kann ihnen ganz bequem automatisch unterstellt werden, sie würden nur aus Missgunst und gekränktem Stolz das Haar in der Suppe suchen.

Exklusiv-Verträge mit einzelnen Medien machen Berichterstattung für die Industrie zum leichter kontrollierbaren Teil der PR-Inszenierung und erwecken zumindest den Eindruck, dass auch angesehene Outlets sich freiwillig zum Sprachrohr der Unternehmens-PR degradieren. Die Rechnung zahlt in jedem Fall ein anderer: eine Käuferschaft, die statt neutraler Berichterstattung zunehmend streng kontrollierte Informationshäppchen von den Herstellern vorgesetzt bekommt. (Rainer Sigl, 17.4.2017)