Dass Pluto kein Planet ist, macht ihn kein bisschen uninteressanter.

Foto: NASA/Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory/Southwest Research Institute

Wissenschaftliche Forschung sollte eigentlich immer ergebnisoffen sein. Ist sie das nicht und orientiert man sich zu sehr an der eigenen Erwartungshaltung, läuft man Gefahr, sich zu irren. Irrtümer dieser Art findet man immer wieder und ein ganz besonderer Fall beschäftigt Wissenschafter und vor allem die Öffentlichkeit seit mehr als 10 Jahren: Die "Degradierung" des Planeten Pluto.

Im Sommer 2006 trafen sich Astronomen aus aller Welt zur Generalversammlung der Internationalen Astronomischen Union (IAU) in Prag. Neben den für solche Konferenzen üblichen wissenschaftlichen Vorträgen gab es aber auch ein Ereignis, dass die Aufmerksamkeit der medialen Öffentlichkeit erregte: Man stimmte über eine offizielle astronomische Definition des Wortes "Planet" ab – eine Definition, deren Bedingungen der sonnenfernste Planet Pluto nicht erfüllte. Seitdem wird der kleine Himmelskörper nur noch als "Zwergplanet" (eigentlich nur ein anderes Wort für "großer Asteroid") klassifiziert, das Sonnensystem hat nur noch acht Planeten.

Anhaltende Diskussionen

Die Entscheidung beschäftigt Forscher und die Öffentlichkeit bis heute. Immer wieder gibt es Initiativen und Vorschläge für neue Klassifikationen, um Pluto seinen alten Status zurück zu geben. Vor allem in den USA: Dort ist man anscheinend besonders verärgert darüber, dass der einzige Planet, der von einem Amerikaner entdeckt wurde, nun keiner mehr ist.

Aber als Clyde Tombaugh im Jahr 1930 am Lowell-Observatorium den Pluto fand, machte er genau das, was man eigentlich vermeiden sollte: Er ließ sich zu sehr von seinen Erwartungen leiten. Schon seit Jahrzehnten hatten Astronomen vermutet, dass sich hinter der Bahn des Neptun noch ein weiterer Planet befinden müsse. Die beobachtete Bewegung des Neptun stimmte nicht ganz exakt mit den theoretischen Vorhersagen überein und man machte den Einfluss eines noch unbekannten Himmelskörpers dafür verantwortlich. Der Amerikaner Percivall Lowell gründete 1894 sogar eine eigene Sternwarte, um sich intensiv der Suche nach diesem "Planet X" widmen zu können. Gefunden hat er ihn vor seinem Tod im Jahr 1916 nicht – dafür entdeckte dann 14 Jahre später Clyde Tombaugh den Pluto.

Unhaltbare Klassifizierung

Alle gingen davon aus das man mit Pluto das gefunden hatte, was man so lange suchte: Einen großen Planeten im äußeren Sonnensystem, der die Störungen der Neptunbahn verantwortet. Dass Pluto tatsächlich ein sehr kleines Objekt ist, fand man zwar schon in den nächsten Jahren heraus, wollte dann aber nichts mehr an seiner Bezeichnung als "Planet" ändern.

Je mehr man allerdings über Pluto herausfand, desto unhaltbarer wurde diese Entscheidung. Pluto war deutlich kleiner als der Rest der Planeten. Seine Umlaufbahn unterschied sich ebenfalls deutlich von den anderen und ähnelte mehr der eines Asteroiden. Spätestens seit den 1990er Jahren war die Situation eigentlich klar: Ab da fand man immer mehr Asteroiden, die sich in der gleichen Region des Sonnensystems aufhielten, wie Pluto selbst. Der "Planet" saß inmitten des Kuiper-Asteroidengürtels und viele Astronomen forderten, dass man Pluto selbst nun auch endlich als das bezeichnen sollte, was er ist: Ein großer Asteroid, der mit vielen anderen Asteroiden Teil eines Asteroidengürtels ist.

Späte Einsicht

Es dauerte dann aber bis zum Jahr 2006, bis man sich zu dieser Entscheidung auch offiziell durchringen konnte und den fast acht Jahrzehnte zuvor begangenen Irrtum zu korrigieren. Ein Irrtum der übrigens nicht einzigartig ist: Pluto ist nicht der erste Planet, den das Sonnensystem verloren hat. 1801 entdeckte der italienische Astronom Giuseppe Piazzi einen bis dahin unbekannten Himmelskörper. Zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter – genau dort, wo man aufgrund theoretischer Überlegungen schon länger einen Planeten vermutete.

Und tatsächlich wurde "Ceres", wie das neue Objekt getauft wurde, auch sofort als "Planet" bezeichnet. Ebenso wie die in den folgenden Jahren in der gleichen Gegend entdeckten Himmelskörper "Pallas", "Juno", "Vesta", und "Astraea". Man fand immer mehr "Planeten" und bis zum Jahr 1851 wuchs die Zahl der planetaren Neuzugänge auf 15 an. Erst dann erkannte man, dass es sich hier um eine neue Klasse von Objekten handelte, die man "Asteroiden" nannte.

Sowohl bei Ceres als auch bei Pluto ließ man sich von falschen Erwartungen leiten. Man war auf der Suche nach Planeten – und als man endlich etwas fand, konnte man sich nicht vorstellen, nicht das gefunden zu haben, was man suchte. Mittlerweile wissen wir, dass die Erwartungen grundlos waren. Die theoretischen Überlegungen, die dem Fund von Ceres vorausgingen (die sogenannte "Titius-Bode-Reihe", mit der man glaubte, die Verteilung von Planeten im Sonnensystem erklären zu können), stellten sich als falsch heraus. Und die Probleme mit der Bahn des Neptun, die zur Suche des "Planet X" führten, verschwanden, als man dank der Voyager-Sonden in den 1990er Jahren die Masse von Neptun exakt bestimmen konnte.

Begrenzte Definitionen

Heute regt sich niemand mehr darüber auf, dass Ceres als großer Asteroid bezeichnet wird und nicht mehr als Planet. Man wird sich auch daran gewöhnen das Pluto kein Planet ist. Seine Entstehungsgeschichte und seine Bahndynamik passen eben sehr viel besser zu einem Asteroid als zu einem Planeten. Und vor allem wird Pluto ja nicht weniger interessant, nur weil wir ihn nicht mehr "Planet" nennen (ich persönlich finde Asteroiden sowieso viel spannender). Er bleibt der gleiche faszinierende Himmelskörper am Rand des Sonnensystems, der er immer schon war.

Irgendwann werden die Astronomen vermutlich das starre Konzept der Planetendefinition sowieso über Bord werfen. Sie werden es müssen, denn die Grenzen, die wir in diese Definitionen stecken, hat die Natur nicht vorgesehen. Die Übergänge von winzigen kosmischen Staubteilchen zu den Asteroiden bis hin zu den noch größeren Planeten und den Gasriesen wie Jupiter sind fließend. Wir werden neue Wege finden, um all diese Himmelskörper und all die neuen Informationen die wir ständig über sie herausfinden, zu klassifizieren. Und ob Pluto dann ein "Planet" ist oder nicht, oder vielleicht sogar ganz anders bezeichnet wird, spielt dann keine Rolle mehr. (Florian Freistetter, 18.4.2017)