Ein Meer türkischer Fahnen: Mit Argumenten zur neuen Verfassung tat sich die AKP schwer – sie setzte stark auf Nationalismus.

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Ankara/Athen – Für die so wahlkampferprobte AKP und ihren Gründer Tayyip Erdogan war es die komplizierteste Kampagne, die sie je führten. Den 55 Millionen türkischen Wählern mussten sie ein unmögliches Argument verkaufen: warum nach nun 14 Jahren und sechs Monaten Alleinregierung der Erdogan-Partei das politische System der Türkei mit einem Mal schlecht und dringend änderungsbedürftig ist.

Mit Details hielten sich der Staatschef und seine Gefolgsmänner deshalb gar nicht erst auf. Die 18 Verfassungsartikel, zu deren Änderung die türkischen Wähler am Sonntag in Gesamtheit Ja sagen sollen, waren selbst kein Thema. Und als der Opposition gelang, eine Debatte über einen einzelnen Punkt der Verfassungsänderungen loszutreten – das Recht des Präsidenten, künftig ohne Angaben von Gründen das Parlament aufzulösen -, ging es für die AKP daneben.

Präsidialsystem

Erdogan bestritt, dass es einen solchen Verfassungsartikel gebe; seine Parteileute bekräftigten dagegen, wie sinnvoll ein solches Vorrecht doch sei. Der Großteil der Öffentlichkeit konnte mit dem rechtlichen Begriff "fesih" – die "Auflösung" des Parlaments – allerdings ohnehin nichts anfangen.

Den Wechsel von der parlamentarischen Demokratie zu einem Präsidialsystem begründeten Erdogan und sein treuer Regierungschef Binali Yildirim allenfalls mit allgemein gehaltenen Behauptungen. Dass ein Präsident und ein Premier dieselbe Macht haben, gebe es nirgendwo auf der Welt, erklärte Erdogan etwa einmal. Der Staatschef vergaß aber zu erwähnen, dass er selbst es ja war, der die Aufteilung der Kompetenzen, wie sie die derzeitige türkische Verfassung festlegt, so sehr zu seinen eigenen Gunsten verschob.

"Ein-Mann-Herrschaft"

Yildirim wiederum räumte an einer Stelle der Kampagne ein, die Verfassungsänderungen würden tatsächlich zu einer "Ein-Mann-Herrschaft" führen. Diese aber, so behauptete der Premier, würde durch das Parlament kontrolliert. Verfassungsrechtler und die Opposition bestreiten das und verweisen auf das vorgesehene Recht des Präsidenten, eben jederzeit das Parlament auflösen zu können.

Der Präsidentenpalast und die AKP verlegten sich auf andere Argumente, um für den Systemwechsel zu werben. Es gab die frontalen: "Wer zur Verfassungsänderung Nein sagt, gehört zu den Terroristen", so erklärte Erdogan zu Beginn der Kampagne. "Instabilität und Chaos" werden folgen, wenn die Verfassungsänderungen zurückgewiesen würden, warnte Ilnur Çevik, einer von Erdogans engen Beratern, die Türken.

"Stabiles und sicheres Umfeld"

Erdogan kleidete solche Drohungen auch in konstruktivere Formeln. Das Regierungssystem der Türkei werde geändert, damit das Land sein "stabiles und sicheres Umfeld nicht verliert oder in den Klauen einer schwachen Regierung festhängt", sagte der Präsident einmal. Doch die größte Resonanz bekam er mit seinen Angriffen auf das "kranke, rassistische Europa", das den Aufstieg der Türkei mithilfe eines neuen Präsidialsystems verhindern wolle. Oder mit dem Putsch vom Juli 2016, den das türkische Volk vereitelte, das nun ein zweites Mal einen Sieg über die Widersacher feiern könne – in dem es Erdogan die Macht gibt. (Markus Bernath, 15.4.2017)