Jede Epoche favorisiert ihre Typologie. Typologien werden meist weiterverwendet, nur Terrassenhäuser sind aus der Mode gekommen. In den 1960er-Jahren waren sie die neue Wohnform schlechthin. Sie haben auch (fast) nur Vorteile. Sie fügen sich in die Landschaft ein, die Terrassen kommen den Gärten von Einfamilienhäusern nahe und auf Erdgeschoßebene steht man nicht vor einer senkrechten Wand, sondern vor einem begrünten Hang.

Von der Terrasse zum Hügel

Bauphysik und eintönige Bauklassen machen terrassierte Baukörper heute unmöglich. Schade eigentlich. In Österreich sollen in den nächsten Jahren so viele Wohnungen errichtet werden, da wäre ein Terrassenhaus eine gute Abwechslung. Auf städtische oder periphere Verhältnisse bezogen wäre das Hügelhaus interessant, die urbane Variante des Terrassenhauses. Nicht immer steht auch ein geeigneter Hang zur Verfügung und so bietet es sich an, dass Architektur selbst den Hang oder Hügel formt.

Fassade der Terrassensiedlung in Graz – Urbanität, Vielfalt und Lockerheit.
Foto: Sabine Pollak

Grazer Vorstadt-Hügel

Ein solches Hügelhaus steht im Osten von Graz, wo die Stadt schon ausbröselt und der Verkehr sich zwischen Friedhof, Supermarkt und diversen Stadterweiterungen zweimal täglich staut. Die Terrassensiedlung  – eine Untertreibung, schließlich stapeln sich hier über 500 Wohnungen bis zu zwölf Geschosse hoch – wurde von der Werkgruppe Graz (Eugen Gross, Friedrich Grosz-Rannsbach, Hermann Pichler und Werner Hollomey) 1978 fertiggestellt. Der Bau folgte dem in den 1960er-Jahren nicht nur in der Architektur entwickelten Strukturalismus. Eine Makrostruktur (Erschließung, Tragstruktur, freie Ebenen) wird durch eine Mikrostruktur (Wohneinheiten) gefüllt. Dazwischen eröffnen sich ausreichend Leerraum für Aneignung, Gemeinschaftsdächer und zwischen den einzelnen Baukörpern ein großer, nahezu urban anmutender autofreier Raum.

Architektur als Abenteuerspielplatz

Ein Freund, der in der Terrassensiedlung aufwuchs, berichtete von einer großartigen Kindheit. Die Siedlung ist gebaut wie ein Abenteuerspielplatz, man gelangt von freien Treppenhäusern über breite Erschließungsstraßen zu Terrassen, geht auf den großen Platz oder begibt sich in versteckte Nischen, die bei Teenager auch heute noch beliebt sind. Da nimmt man zugige Treppenabsätze in Kauf. Warum das Grazer Hügelmodell bis heute bestens funktioniert? Die Wohnung sind gut angelegt und die Fassaden vielfältig, die Straßenbahn fährt bis an die Siedlung heran – warum staut es sich hier eigentlich? – und an die Siedlung schließt ein tolles Waldgelände an. Warum also baut man heute keine Hügelhäuser mehr? Weil die Abstufungen die Baubehörde überfordern würde? Weil sich für Bauträger keine Regelgeschoße ergeben? Weil zu viel Volumen mit Styropor beklebt werden muss? Oder sind Urbanität und Vielfalt in der Vorstadt gar nicht mehr gefragt? (Sabine Pollak, 19.4.2017)

Architektur als Abenteuerspielplatz.
Foto: Sabine Pollak

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