Drop-in für Fortgeschrittene: Kaudela auf dem 23 Meter hohen Startturm beim Dark Fest 2017.

Foto: Eric Palmer

Nur Fliegen ist schöner. Kaudela beim Testen der Sprünge, die er mit Reynolds und Vink gebaut hat.

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Der bislang höchste Sprung auf einem Fahrrad: Kaudela beim Nine-Knights-Festival.

Foto: David Malacrida / Distillery

No dig, no ride. Wenn Kaudela nicht auf dem Rad sitzt, baut er beruflich Sprünge und Strecken.

Foto: Eric Palmer

Innsbruck – Die hölzerne Anfahrtsrampe ist furchteinflößende 23 Meter hoch. Trotzdem gilt es am Weg nach unten zu pedalieren, um die nötige Absprunggeschwindigkeit von 80 Kilometer pro Stunde zu erreichen. Schließlich müssen 28 Meter Luftlinie vom ersten Kicker bis zur Landung überwunden werden. Da stehen sie nun, die Freeride-Götter dieser Erde – Cameron Zink, Graham Agassiz, Andreu Lacondeguy und wie sie alle heißen. Ihre Augen sind gebannt auf einen 26-jährigen Niederösterreicher gerichtet, der sich als Erster an diese unglaubliche Linie heranwagt. Clemens Kaudela aus Unterstinkenbrunn war im Februar 2017 auf Einladung von Sam Reynolds beim Dark Fest in Südafrika mit dabei und hat dort mit seiner Vorstellung den Sprung in den Olymp der Gravity-Szene geschafft.

Die Höhepunkte des Dark Fest 2017. Mit dabei Clemens Kaudela und seine Jungfernfahrt auf einer Linie, die auch die Stars der Szene staunen ließ.
FEST series

Begonnen hat alles mit zwei Ziegelsteinen und einem Brett im elterlichen Garten. "Damals, in der Volksschule, ging es einfach nur darum, wer weiter springen kann", erinnert sich Kaudela an die ersten Versuche. Im Grunde hat sich seitdem nicht viel verändert. Nur dass aus dem Brett und den Ziegeln Erdwälle von unvorstellbarem Ausmaß wurden. Im Alter von elf Jahren fuhr Kaudela in Wien sein erstes Mountainbike-Rennen: "Mein Vater hat gesagt, wenn ich unter die ersten drei komme, kauft er mir ein neues Radl." Platz zwei bescherte ihm sein erstes Fully. Der Pokal vom 4. Mai 2002 hat immer noch einen Ehrenplatz in seiner mittlerweile großen Trophäensammlung.

Vom Mountainbiker zum Dirt Jumper

"Die höchste Erhebung bei uns im Weinviertel ist 500 Meter hoch", erklärt er, wie es ihn in der Folge vom Mountainbiken immer mehr in Richtung Dirt-Jumpen zog. Sozialisiert durch Videos wie Kranked und New World Disorder begann Kaudela alsbald die Umgebung umzupflügen, um immer größere Sprünge zu bauen. Dabei eignete er sich über die Jahre jene Fähigkeiten als Streckenbauer an, die ihm letztlich als Eintrittskarte in die Fest Series dienen sollten. Doch zuvor wuchs Kaudela zur Fixgröße in der heimischen Dirt-Jump-Szene heran.

Zusammen mit seinem Freund und Kollegen Niki Leitner prägt und beherrscht Kaudela die heimische Dirt-Jump-Szene.
Fabian Kluhs

Seit 2009 verdient er sich seine Sporen beim Masters of Dirt, auch in der Freeride Worldtour (FMB) ging er an den Start. Doch der klassische Wettkampfmodus sagt Kaudela nur bedingt zu: "Das FMB-System hat mich nicht so gereizt. Es ist schwer, zu großen Contests zu kommen." Dank seines Styles und Könnens kam Kaudela aber auf die Gästeliste des Nine-Knights-Freeride-Festivals, das jährlich in den Alpen stattfindet. Dort sorgte er erstmals für weltweites Aufsehen, als er den wahrscheinlich höchsten Sprung auf einem Mountainbike zeigte.

Einladung nach Südafrika

Beim Nine Knights baute Kaudela zusammen mit dem britischen Freeride-Star Sam Reynolds das berühmte Schloss: "Wir kennen uns schon lange, und dort hat sich für Sam gezeigt, dass ich ideal fürs Dark Fest geeignet wäre. Ich bin gut beim Bauen und auch fahrerisch auf dem richtigen Level." Und so lud Reynolds Kaudela nach Südafrika ein, um dort zusammen mit ihm und dem Belgier Nico Vink die größten Sprünge zu bauen, die je mit Mountainbikes bezwungen wurden – das Dark Fest.

Beim Nine Knights zeigte Kaudela den bislang wahrscheinlich höchsten Sprung auf einem Mountainbike.
Nine Knights

Im Städtchen Knysna, rund sechs Autostunden östlich von Kapstadt, stellte ein Bauer das Land für die Sprünge zur Verfügung. Drei Wochen lang wurde gebaggert und geschaufelt, bevor sich die Crème de la Crème der Gravity-Mountainbike-Szene erstmals auf der Südhalbkugel ein Stelldichein gab. Das Dark Fest gehört zur Fest Series, die 2014 von den sechs Freeridern Lacondeguy, Agassiz, Vink, Makken, Nick Pescetto und Kurt Sorge gegründet wurde. Ziel ist es, die besten Fahrer der Welt auf den besten Strecken der Welt zusammenzubringen. Es geht dabei nicht um Podiumsplätze, sondern darum, die Limits des Sports auszuloten und nach oben zu schrauben. "Höher, schneller, weiter" wird bei der Fest Series wörtlich genommen. Die Fahrer bewerten ihre Leistungen selbst. Für die Sponsoren steht der mediale Output in Form von Fotos und Videos im Vordergrund, nicht die Rangliste.

"Vielleicht wärst du besser zu Hause geblieben"

Als Kaudela erstmals in über 20 Metern Höhe auf der kleinen hölzernen Plattform des Startturmes stand, kamen Zweifel in ihm auf: "Ich dachte nur: 'Scheiße, das hast du dir nicht gut überlegt. Vielleicht wärst du besser zu Hause geblieben.'" Der Freeride-Profi beschreibt sich selbst als überlegten Menschen, was das Risiko angeht: "Ich habe mich immer schon weniger getraut, als ich tatsächlich konnte." Darauf führt er auch die kurze Verletzungsliste nach mehrjähriger Bike-Karriere zurück: "Ein einziger Knochenbruch 2013, Schien- und Wadenbein. Sonst nichts." Auch beim Dark Fest waren die schlimmsten Verletzungen Abschürfungen. Angesichts der Dimension des Gezeigten kaum vorstellbar.

Hier stellt Kaudela sein Arbeitsgerät vor, das ihm spektakuläre Tricks und Sprünge ermöglicht.
Clemens Kaudela

"Das ist das Gute an diesem Format. Niemand muss etwas fahren, jeder entscheidet selbst, ob er sich gut fühlt oder nicht", erklärt Kaudela den etwas anderen Zugang bei der Fest Series. Während die Tricks auf den riesigen Schanzen für Laien selbstmörderisch wirken, spricht Kaudela von "kalkuliertem Risiko". Zwar seien die Konsequenzen enorm, wenn bei solchen Sprüngen etwas schiefgeht. Doch zugleich ist die Flugkurve bewusst so angelegt, dass man bei der Landung nicht senkrecht im Boden einsticht, sondern im flachen Winkel dahinschlittert. Das verringert das Verletzungsrisiko.

Die Teilnahme bei der Fest Series funktioniert über persönliche Einladungen unter den Fahrern. Kaudela hat bereits die nächste erhalten. Im Juli 2017 wird er in Belgien beim Loose Fest, in der Heimat von Vink, mit dabei sein. Ob er weitere Einladungen zu Stopps in Nordamerika folgen, wird sich weisen. Kaudela, der sein Auskommen als Fahrer und Streckenbauer findet, ist indes auf den Geschmack gekommen. Er will sich nun in Unterstinkenbrunn seine eigene, riesige Jumpline bauen. Zum Üben für sich und Freunde: "Es gibt nicht viele Fahrer in Österreich, die das springen können. Aber es gibt motivierte Leute, die das Zeug dazu hätten, in Österreich eine starke Szene entstehen zu lassen." Wer weiß, vielleicht fliegen bald Zink, Lancondeguy, Reynolds und Co durch den Himmel im Weinviertel. (Steffen Arora, 18.4.2017)