Der Stadtteil Beşiktaş ist Istanbuls Protestzentrum.

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Demonstration in Istanbul am Montag.

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Ankara – Nach dem umstrittenen und äußerst knapp verlaufenen Referendum für eine Verfassungsänderung in der Türkei ist es in der Millionenmetropole Istanbul zu Protesten gegen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan gekommen. Wie bereits am Sonntagabend gingen am Montagabend erneut hunderte Menschen im Ausgehviertel Beşiktaş auf die Straßen, bliesen in Trillerpfeifen und riefen "Wir wollen keinen Faschismus" und "Dieb, Mörder, Erdoğan". Auch im Stadtteil Kadiköy demonstrierten rund 2.000 Menschen gegen Erdoğan, wie ein AFP-Fotograf berichtete.

US-Präsident Donald Trump übermittelte derweil seinem türkischen Amtskollegen Gratulationen aus dem Weißen Haus. Zudem wurde der Ausnahmezustand, der seit dem gescheiterten Militärputsch im vergangenen Juli im ganzen Land gilt, verlängert.

"Dieb, Mörder, Erdoğan"

In Beşiktaş entlud sich am Montagabend erneut die Wut der Erdoğan-Gegner. Anrainer lehnten sich aus dem Fenster, sie klatschten und schlugen als Zeichen des Protests auf Töpfe. Zunächst kam es nicht zu Zusammenstößen mit der Polizei. Die Gruppe "Hayir Beşiktaş" ("Nein Beşiktaş") hatte in dem Demonstrationsaufruf geschrieben: "Wir sind hier gegen Betrügereien, Ungerechtigkeiten und gestohlene Stimmen!" Auch in anderen Stadtteilen Istanbuls sowie in der Hauptstadt Ankara und der westtürkischen Stadt Izmir hatten Regierungskritiker zu Protesten aufgerufen.

Erdoğan verspottete die Demonstranten am Montagabend in einer Ansprache vor dem Präsidentenpalast. "Während das Ergebnis vom 16. April unser Volk zufriedengestellt und glücklich gemacht hat, hat es andere ganz ohne Zweifel enttäuscht", sagte er. "Wie ich sehe, sind die mit den Kochtöpfen und Pfannen wieder aufgetaucht."

In Anlehnung an die niedergeschlagenen Gezi-Proteste vom Sommer 2013 sagte Erdoğan: "Das sind eben Gezi-Leute. Das sind die mit den Töpfen und Pfannen." Auch damals hatten Anrainer ihrem Protest durch das Schlagen auf Kochtöpfe Ausdruck verliehen.

Ausnahmezustand bleibt

Unterdessen hat die Regierung eine erneute Verlängerung des Ausnahmezustands beschlossen. Vorbehaltlich der Zustimmung des Parlaments soll der Ausnahmezustand nun mindestens drei weitere Monate in Kraft bleiben, wie Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmuş sagte.

Am Montagabend waren in Ankara jeweils unter Erdoğans Vorsitz zunächst der Nationale Sicherheitsrat und dann das Kabinett zusammengekommen. Der Nationale Sicherheitsrat teilte nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu mit, die Maßnahme diene "dem Schutz unserer Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit sowie der Rechte und Freiheiten unserer Bürger". Formell muss nun noch das Parlament der Verlängerung zustimmen, das an diesem Dienstag erstmals seit dem Referendum zusammenkommt. Eine Zustimmung gilt als sicher, da Erdoğans islamisch-konservative Partei AKP über eine absolute Mehrheit verfügt. Ohne Verlängerung wäre der Ausnahmezustand in der Nacht auf Mittwoch ausgelaufen.

Kritik kam diesbezüglich vonseiten der Opposition. Ein Abgeordneter der größten Oppositionspartei CHP warf der Regierung vor: "Sie können dieses Land nicht ohne Ausnahmezustand regieren. Sie sind eine Regierung geworden, die abhängig ist vom Ausnahmezustand." Unter dem Ausnahmezustand kann Erdoğan weitgehend per Dekret regieren.

Vorbehaltlich der Zustimmung des Parlaments gilt der Ausnahmezustand mindestens bis zum 19. Juli – zu dem Zeitpunkt wird er rund ein Jahr in Kraft gewesen sein. Erdoğan hatte den Ausnahmezustand nach dem Putschversuch im Juli vergangenen Jahres ausgerufen. Er wurde seitdem zweimal verlängert. Der Ausnahmezustand kann theoretisch beliebig oft verlängert werden, allerdings jeweils nur für maximal vier Monate.

Trump gratuliert Erdoğan

US-Präsident Trump hat Erdoğan zum Ausgang des Verfassungsreferendums gratuliert. Trump habe dem türkischen Präsidenten am Montag telefonisch Glückwünsche überbracht, bestätigte das Weiße Haus am Montagabend. Zuvor hatte die staatliche türkische Agentur Anadolu darüber berichtet.

Trumps Sprecher Sean Spicer hatte sich am Nachmittag noch zurückhaltend zum Ausgang des Referendums geäußert. "Es gibt eine internationale Kommission, die das untersucht und in zehn bis zwölf Tagen ihren Bericht veröffentlichen wird. Wir werden warten und sie ihren Job machen lassen", sagte er mit Blick auf die Kommission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Das US-Außenministerium forderte die Regierung und Präsident Erdoğan auf, die grundlegenden Rechte und Freiheiten aller Bürger zu achten. Dabei dürfe es nicht darauf ankommen, wie diese am 15. April abgestimmt hätten, hieß es in einem Statement des Sprechers Mark Toner. Auch er nahm Bezug auf die ersten Erkenntnisse von OSZE-Wahlbeobachtern, die Unregelmäßigkeiten sowohl im Wahlkampf als auch am Abstimmungstag gesehen hätten. Es müsse nun der endgültige Bericht der OSZE-Kommission abgewartet werden.

Österreichs Grüne: Vorwurf massiver Manipulationen

Die Menschenrechtssprecherin der österreichischen Grünen, Alev Korun, war für den Europarat als Wahlbeobachterin beim Referendum in der Türkei gewesen. Es gebe den Verdacht, dass bis zu 2,5 Millionen Stimmen manipuliert worden seien, sagte sie am Dienstag im Ö1-"Morgenjournal" – ein Ausmaß, das das Wahlergebnis drehen würde.

Auch Kuverts ohne offiziellen Stempel seien zur Wahl zugelassen worden. Politisch schaut es Korun zufolge so aus, dass einer Neuauszählung nicht stattgegeben werde – die oberste Wahlbehörde habe das abgeschmettert, obwohl es um hunderttausende Stimmen gehe. Es müsste den Vorwürfen nachgegangen werden, meinte die Politikerin. Die Opposition in der Türkei wolle das Ergebnis anfechten.

Sie selbst habe zwar bei ihren Beobachtungen keine Unregelmäßigkeiten registriert, aber im Kurdengebiet, in Diyarbakir, seien Wahlbeobachter in ihrer Arbeit zum Beispiel durch Aufhalten durch die Polizei behindert worden. Besonders im Südosten des Landes habe es viele Probleme und drei Tote gegeben. (red, APA, dpa, 18.4.2017)