Die städtische Umgebung behagt Kohlmeisen nicht: Vergleichende Freilandstudien zeigten, dass das Gewicht der Jungvögel mit höherem Besiedlungsgrad abnimmt.

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Wien – Auch wenn nicht jeder Staatschef es wahrhaben will: Der Klimawandel ist Realität, und er schreitet voran, wie zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten belegen. Das beeinträchtigt die Überlebenschancen vieler Tierarten, einerseits durch den direkten Einfluss der Erderwärmung, wie wir das vom Eisbären kennen, andererseits über verschlungenere Wege, nämlich über die Entkoppelung diverser Nahrungsgefüge. Das kann der Fall sein, wenn ein Bestandteil des Netzes – zum Beispiel ein Räuber – seine Aktivitäten nach der Temperatur ausrichtet, wohingegen ein anderer – etwa dessen Beute – auf Tageslänge reagiert. Während Tageslänge und Jahreszeit fix verbunden sind, ist das bei der Temperatur immer weniger der Fall, und das kann zu Problemen führen.

Sabine Hille vom Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft an der Universität für Bodenkultur Wien untersucht die Reaktion von Kohlmeisen auf den Klimawandel am Schöpfl, dem mit knapp 900 Metern höchsten Berg des Wienerwaldes. Hier haben sie und ihre Mitarbeiter drei Studienflächen auf 566, 691 und 877 Metern eingerichtet, auf denen sie im Lauf der letzten acht Jahre insgesamt mehr als 300 Nistkästen aufgehängt haben.

Die meisten davon werden von Kohlmeisen genutzt, ein kleiner Teil auch von Tannenmeisen. Im Rahmen des Projektes, an dem auch die Dissertantin Eva Schöll beteiligt ist, wird auf dem gesamten Untersuchungsareal stündlich die Temperatur gemessen. Daher wissen die Biologen, dass die Tagesmittelwerte im Frühling in den hohen Lagen des Untersuchungsgebietes um ein bis zwei Grad niedriger liegen als in den tiefen. Außerdem erfolgt die Erwärmung im Frühjahr nahe dem Schöpfl-Gipfel circa fünf Tage später als im Tal, und die Entfaltung der Buchenblätter verschiebt sich je 100 Meter Höhenanstieg um 1,5 bis fast fünf Tage nach hinten.

"Wir betrachten den Höhengradienten als ideales Freilandlabor", sagt Hille, "weil wir so unter natürlichen Bedingungen vergleichen können, wie sich dieselbe Art unter verschiedenen Klimabedingungen verhält." In diesem "Labor" versuchte Hilles Gruppe unter anderem die Frage zu klären, inwieweit der Austrieb der Buchenblätter im Frühling, das massenhafte Auftreten von Raupen, die die Blätter fressen, und der Bruterfolg der Meisen, die ihre Jungen mit diesen Raupen ernähren, zeitlich koordiniert sind bzw. was passiert, wenn diese Koordination durch klimatische Verschiebungen beeinträchtigt wird.

Größere Territorien

"Es gibt niederländische und britische Studien, laut denen die Zeit, in der die Meisenjungen am stärksten wachsen, immer in der Zeit liegt, in der es die meisten Raupen gibt", wie Hille ausführt. Im Gegensatz dazu fanden die Forscher am Schöpfl keinen solchen Peak. Vielmehr gab es während der ganzen Brutsaison Raupen, wenn auch in schwankender Dichte. Den Meisen schadet das offenbar nicht: Selbst in höheren und daher kälteren Lagen, wo die Meisen später brüten, konnte Hilles Gruppe keine Verringerung des Bruterfolges feststellen.

Die Biologen nehmen an, dass die Vögel die Nachteile der Höhenlage ausgleichen, indem sie größere Territorien beanspruchen und dadurch zu mehr Nahrung für ihre Jungen kommen. "Die niederländischen und britischen Studien wurden in ozeanisch geprägten Wäldern durchgeführt", gibt Hille zu bedenken, "während der Wienerwald atlantisch geprägt ist. Das ist offenbar nicht egal und zeigt, wie wichtig Freilandstudien zur Klimaproblematik sind."

Hille befasst sich mit Kohlmeisen jedoch nicht nur im Wald, sondern auch in der Stadt. Seit 2014 leitet sie ein Projekt, das die Lebensbedingungen der Vögel in Wien erforschen und verbessern soll. In diesem Rahmen untersuchte ein großes Team von Masterstudenten und -studentinnen am Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft der Universität für Bodenkultur Wien die Hauptstadt auf ihre Eignung für Kohlmeisen.

City schlecht für Jungvögel

Dazu verteilten die Wissenschafter knapp 130 Nistkästen in vier verschiedenen Sektoren, die von "City" bis "Wald" reichten und dementsprechend immer grüner wurden. Durch Gewichtskontrollen kurz vor dem Ausfliegen ermittelten sie, wie gut gerüstet die jeweiligen Jungvögel ins Leben gingen. Die Untersuchung stellte den dichtbebauten Gebieten kein gutes Meisen-Zeugnis aus: Je höher der Besiedelungsgrad der Nestumgebung, desto geringer war das Gewicht der Jungvögel.

Eine Vogelart, die im Gegensatz zur Kohlmeise geradezu auf die Stadt spezialisiert ist, ist die Dohle. Sie hat ihre ursprünglichen Nistplätze in Baumhöhlen und Felsnischen schon lange gegen Mauerlöcher, Kamine und Kirchtürme getauscht, sieht sich aber im modernen Wien mit zunehmenden Problemen konfrontiert: Die Renovierung und Umgestaltung alter Häuser und Fassaden macht ihr zu schaffen, weshalb sie in Österreich unter Schutz steht.

In einem seit 2014 laufenden Projekt, das auch von Hille geleitet wird, wurde erstmals der Dohlen-Bestand flächendeckend erhoben. Federführend dabei ist Mitarbeiterin Maria Hoi-Leitner, die mit Studentengruppen die Erfassungen durchführt. Fazit: In Wien gibt es knapp 700 Brutpaare an 387 Standorten, die meisten davon im 21. Bezirk mit 404 Brutpaaren, im 22. mit 91 und im zweiten mit 73 Dohlenpaaren. Gemeinsam mit der Wiener Umweltschutzabteilung MA 22 arbeiten Hille und ihre Mitarbeiter derzeit an einem umfassenden Schutzkonzept für die kleinen grau-schwarzen Rabenvögel. Dieses bezieht auch die Nahrungsflächen der Dohlen, nämlich die letzten offenen Wiesen im Wiener Raum, mit ein. (Susanne Strnadl, 21.4.2017)