Ein am Montag begonnener, lange vorbereiteter Hungerstreik palästinensischer Häftlinge in israelischen Gefängnissen ist zunächst ruhig verlaufen, hat aber das Potenzial, Unruhen und eine größere Konfrontation auszulösen. In der heiklen Häftlingsfrage spiegeln sich die völlig verschiedenen Sichtweisen des Konflikts wider: Für die Israelis sind die Inhaftierten gefährliche Terroristen, die Morde und andere Gewaltverbrechen begangen haben – für die Palästinenser sind sie Freiheitskämpfer und Helden.

Dem Hungerstreik schlossen sich zunächst zwischen 1000 und 1500 der mehr als 6000 in acht verschiedenen Gefängnissen einsitzenden palästinensischen "Sicherheitshäftlinge" an. Einige Hundert befinden sich in einer "Verwaltungshaft", die es Behörden ermöglicht, Terrorverdächtige ohne Anklage für praktisch unbegrenzte Zeit festzuhalten.

Das offizielle Motiv für die Protestaktion ist der Wunsch nach besseren Haftbedingungen. Gefordert werden etwa häufigere Besuche durch Angehörige, mehr Telefone, mehr Fernsehkanäle, eine bessere medizinische Versorgung und bessere Möglichkeiten, im Gefängnis die Matura abzulegen oder zu studieren.

Zugleich scheint sich Marwan Barghuti, der 57-jährige Anführer des Hungerstreiks, damit politisch profilieren zu wollen. "Wir Palästinenser haben ein Recht auf Freiheit und das Recht auf einen Kampf", sagte Barghutis Ehefrau Fadwa. "Wenn der Besatzer glaubt, dass das palästinensische Volk müde, erschöpft oder gebrochen ist, dann wird die Antwort in den Gefängniszellen gegeben werden."

Kommandant der Intifada

Barghuti war der prominenteste Kommandant der "Zweiten Intifada", des Palästinenseraufstands zu Beginn dieses Jahrhunderts. 2002 wurde er gefangen genommen und von einem israelischen Gericht wegen der Beteiligung an fünf Terrormorden zu lebenslanger Haft verurteilt. Heute werden Barghuti die besten Chancen gegeben, Nachfolger des schon 82-jährigen Präsidenten Mahmud Abbas zu werden. Der Hungerstreik gilt als Machtdemonstration Barghutis gegenüber Rivalen innerhalb der im Westjordanland regierenden Fatah-Partei, aber auch gegenüber der mit der Fatah verfeindeten radikalislamischen Hamas.

In Israel war man bitterböse darüber, dass die New York Times am Wochenende einen Artikel von Barghuti veröffentlichte, wobei der Autor als "palästinensischer Führer und Parlamentarier" bezeichnet, seine Verurteilung aber nicht erwähnt wurde. Erst später wurde in einer Online-Version nachgetragen, dass Barghuti "Mord in fünf Fällen und die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation" vorgeworfen werden. Barghuti wurde in ein Gefängnis im Norden des Landes verlegt und in Isolierhaft genommen.

"Israel leistet schon heute mehr als das, was das internationale Recht als minimale Bedingungen für Sicherheitshäftlinge definiert", sagte Justizministerin Ayelet Shaked, umgekehrt seien entführten Israelis alle Rechte verweigert worden. Die israelischen Behörden wollen mit den Hungerstreikenden nicht verhandeln. (Ben Segenreich aus Tel Aviv, 18.4.2017)