Der Satire-Blog dieTagespresse.com bringt es auf den Punkt: "Perfekt integriert: Mehrheit der Austro-Türken stimmt für starken Führer". In Österreich stimmten 73 Prozent mit "Ja" für Tayyip Erdogans Ermächtigungsgesetz.

Der bittere Hohn hat eine faktische Basis. Schon bisher ergaben Umfragen des Sora-Instituts zum Thema "starker Führer" hohe Zustimmungswerte unter den Österreichern (zuletzt, 2014, 29 Prozent). Donnerstag stellen Sora, der Zeithistoriker Oliver Rathkolb und Vertreter des Zukunftsfonds ein update vor. So viel kann man schon sagen: Besser ist es nicht geworden.

Wenn sich fast 30 Prozent der Österreicher für einen "starken Führer, der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss", erwärmen können, so ist das eine abstrakte Fragestellung. Die in Österreich lebenden wahlberechtigten Türken konnten sich hingegen ganz konkret für ein Regime entscheiden, das tausende Oppositionelle und kritische Bürger einsperrt, zehntausende mit lächerlichen Begründungen aus Staatsposten entlässt, einen völlig einseitigen Wahlkampf führt und einem politisch paranoiden Nationalisten diktatorische Vollmachten gibt.

Es gibt auch ein "Andererseits": Die Zustimmungsrate von 73 Prozent in Österreich muss vor dem Hintergrund einer relativ niedrigen Wahlbeteiligung gesehen werden: 51 Prozent. In der Türkei war die Wahlbeteiligung 86 Prozent. Dort stimmten nur 51,4 Prozent für Erdogan.

In absoluten Zahlen haben also rund 38.000 Austrotürken für Erdogan gestimmt. Übrigens: In Österreich gibt es rund 117.000 türkische Staatsbürger. Laut türkischer Wahlbehörde waren aber 108.000 Personen wahlberechtigt. Da wird es wohl etliche Doppelstaatsbürger geben ...

Der Islamexperte Thomas Schmidinger bezeichnet die in Österreich lebenden Türken als "besonders religiös-reaktionär". Andere fragen, wie Menschen, die in freien Demokratien wie Deutschland und Österreich leben, für einen Diktator stimmen können.

Die Zuwanderer in Österreich stammen überwiegend aus der bildungsfernen, ländlich-religiösen Schicht. Die erste Gastarbeitergeneration kam in den 1970er-Jahren aus der zentralanatolischen Provinz Yozgat mit einer Analphabetenrate der Männer von 40 und der Frauen von 70 Prozent. Das hat sich natürlich geändert, aber es gibt auch in der zweiten und dritten Generation relativ wenige Aufsteiger. Volle 60 Prozent der Austrotürken haben nur einen Grundschulabschluss.

Fühlen sich die Türken in Europa missachtet? Erdogan bestärkte sie massiv darin. Tatsächlich hat die österreichische Demokratie eben auch eine türkenfeindliche Partei wie die FPÖ zu bieten. Aber viel stärker ist meines Erachtens der massive Druck, der in der türkischen Community von Organisationen wie Atib und UETD ausgeübt wird, die nichts anderes als verlängerte Arme von Erdogan sind.

Das eindeutig stärkste Motiv ist aber der türkische Nationalismus, der sich um einen starken Führer schart, der die "Türkei wieder groß machen wird". Das wird hierzulande noch für Ärger sorgen. (Hans Rauscher, 18.4.2017)