Eine Demonstrantin schaffte es kurzzeitig auf die Bühne, wo sie mit erhobenen Mittelfingern Le Pens Rede unterbrach. Bei Kundgebungen gegen die Kandidatin kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei.

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Als wäre die politische Lage in Frankreich nicht schon angespannt genug, meldete sich am Dienstag auch noch die Terrorgefahr zurück. Innenminister Matthias Fekl gab bekannt, die Elitepolizei Raid habe in Marseille zwei Männer im Alter von 23 und 29 Jahren verhaftet, die ein Attentat "vor den Präsidentschaftswahlen" geplant hätten. Gegen welchen Anlass oder Kandidaten es gerichtet war, wollte der Minister nicht sagen. Er erklärte nur, die beiden Franzosen hätten sich offenbar im Gefängnis "radikalisiert". Die Polizei sperrte Teile des dritten Stadtbezirks von Marseille ab und führte eine Minensuchaktion durch. Fekl räumte ein: "Das Terrorrisiko bleibt höher denn je."

Der Geheimdienst DGSI hatte seit Tagen mit einem Anschlag gerechnet und den Wahlkampfteams in aller Diskretion Schutzanweisungen gegeben. Vor einzelnen Meetings gab er den Organisatoren auch Fotos der beiden später Verhafteten, die aus dem Jihad in Syrien zurückgekehrt waren.

Nach der Festnahme wurden drei Kilo des Sprengstoffs TATP und mehrere Waffen gefunden. Das teilte Antiterrorstaatsanwalt François Molins am Dienstag in Paris mit. TATP war auch bei den Pariser Terroranschlägen vom November 2015 von islamistischen Gewalttätern verwendet worden. Die Ziele der festgenommen Terrorverdächtigen seien noch nicht klar, so Molins. Bei der Durchsuchung wurde auch eine Fahne der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) gefunden.

Weiterhin im Ausnahmezustand

Nach den schweren Terroranschlägen in Paris und Nizza befindet sich Frankreich weiterhin im Ausnahmezustand. Fekl gab zudem bekannt, dass die beiden Wahlgänge am 23. April und 7. Mai durch jeweils 50.000 Ordnungshüter gesichert würden.

Generell mehren sich im französischen Wahlkampf die Zeichen der Anspannung. An den Finanzmärkten, die den Wahlsieg der Rechtspopulistin Marine Le Pen befürchten, sind die Zinsen von Zehnjahresanleihen im Steigen begriffen. Währungsfondsdirektorin Christine Lagarde – selber Französin – erklärte am Dienstag, es gebe eine "wachsende Besorgnis" über den Wahlausgang in Frankreich.

Laut letzten Umfragen werden Le Pen 22 Prozent der Stimmen gutgeschrieben, dem Mitte-Kandidaten Emmanuel Macron 23 Prozent; knapp dahinter folgen der Linke Jean-Luc Mélenchon mit 19,5 und der Konservative François Fillon mit 19 Prozent.

Störaktionen linksextremer Aktivisten

Der jüngste Großauftritt Le Pens in Paris wurde von Gegnern aus der linksextremen Szene gestört. Eine junge Aktivistin schaffte es am Ostermontag, mit einem Blumenstrauß auf die Bühne zu springen und die Rede der Front-National-Kandidatin zu unterbrechen. Im Saal entblößte eine Femen-Aktivistin ihren Oberkörper. Beide Frauen wurden vom Sicherheitsdienst der Partei aus dem Saal geschleift; die 5.000 Anhänger skandierten "on est chez nous" (etwa: "Das ist unser Land.").

Le Pen sagte an die Adresse der Feministinnen, scheinbar verwundert, sie sei doch unter allen Kandidaten "die einzige Frau, die die Frauen verteidigt".

Zugleich gibt Le Pen ihren monatelangen Mäßigungskurs immer mehr auf. In Abkehr von ihrem Wahlprogramm erklärte sie in Paris, sie würde als gewählte Präsidentin ein Moratorium in Sachen Immigration erlassen. "Mein erster Schritt bestünde darin, die Landesgrenzen wiederherzustellen", sagte die Kandidatin, deren Umfragezahlen in den vergangenen Wochen leicht rückläufig waren. Den geplanten Euroaustritt ließ sie bei ihrem Auftritt in Paris jedoch aus – vermutlich auch, weil ihr bisheriges Hauptwahlversprechen laut Umfragen nicht mehrheitsfähig ist.

Le Pen zeigt Nerven

Pariser Kommentatoren glauben, dass Le Pen auch Nerven zu zeigen beginne. Die Bilder von den turbulenten Wahlauftritten mit einem zunehmend radikalen Unterton sind jedenfalls nicht dazu angetan, die staatstragende Seite der Kandidatin herauszustreichen. Sie geben vielmehr einen Vorgeschmack darauf, was Frankreich erwarten würde, wenn Le Pen wirklich in den Élysée-Palast einziehen würde.

Während Le Pens direkter Rivale Macron ebenfalls zu stagnieren scheint, verspürt Fillon einen gewissen Aufwind. Der affärenbelastete Expremier betont Themen der Sicherheit und Ordnung.

Mélenchon, der zuletzt zum Spitzentrio Le Pen, Macron und Fillon aufgeschlossen hatte, organisierte am Dienstagabend gleich sieben Wahlmeetings zur gleichen Zeit: Er war in Dijon im Burgund physisch präsent und übertrug den Auftritt in sechs weitere Städte wie Nantes oder Grenoble; dort erschien er dank der 3-D-Technologie täuschend echt als "Hologramm" auf der Bühne. Der Linken-Kandidat meinte, die ganze Wahl werde sich in dieser Woche entscheiden.

Laut Umfragen sind 35 Prozent der Stimmberechtigten weiterhin unschlüssig, wem sie am Sonntag ihre Stimmen geben sollen. (Stefan Brändle aus Paris, 18.4.2017)