Zielgerade. Boylston. Ein paar hundert Meter noch. Obwohl die Sieger schon vor Stunden hier durchgelaufen sind, trotz der Hitze, sind die Tribünen brechend voll: Boston feiert seine Heldinnen und Helden. Feiert auch mich. Plötzlich laufe ich wieder. Lache. Bin glücklich. Da vorne, das ist die Ziellinie. Um zu jubeln, um die Arme hochzureißen, um irgendwas Heroisches zu tun. Nur: Dazu fehlt mir die Kraft. Nicht nur mir – allen.
"Oh my god, it's over", höre ich die Frau hinter mir aufstöhnen. Verzweifelt – und erleichtert.
Ich atme zweimal tief durch, schaue auf die Uhr – und würde am liebsten heulen: 17 Minuten hinter Plan. Debakel, Niederlage, Blamage, sagt der Kopf – aber trotzdem fühlt es sich nicht so an: Da ist auch Stolz. Stolz, überhaupt durchgekommen zu sein.
Dass es heute weit besseren Läufern als mir sehr ähnlich gegangen war, dass kaum einer sein Ziel erreichen konnte, dass angeblich fast 2.500 Läufer ohne Sanitäter oder ärztliche Hilfe nicht durchgekommen wären, dass es tatsächlich so heiß war, wie es sich angefühlt hatte, wusste ich da noch nicht.
Es ist auch egal. Was zählt, ist etwas ganz anderes: nicht aufgegeben zu haben. Aus einem schlechten Tag das Optimum herausgeholt zu haben. Meinen sechsten Marathon, meinen dritten "Major", geschafft zu haben.
Ganz einfach: Boston gelaufen zu sein.