Der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew mit seinem usbekischen Kollegen Schawkat Mirsijojew, dessen Land den Latinisierungsprozess großteils 2005 abgeschlossen hat.

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Der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew drängt auf einen straffen Zeitplan beim geplanten Wechsel des nationalen Schriftsystems. Bis Jahresende soll ein lateinisches Alphabet ausgearbeitet sein, das speziell auf die kasachische Sprache zugeschnitten ist.

Dies teilte Nasarbajew kürzlich in einem Artikel mit dem Titel "Modernisierung des öffentlichen Bewusstseins" mit, in dem er darlegt, wie der Aufstieg Kasachstans unter die "30 entwickeltsten Staaten der Welt" vonstattengehen soll. Bis 2025 sollen alle "Dokumente, Periodika und Bücher" in lateinischer Schrift verfasst werden, dies sei eine Notwendigkeit "für den Prozess von Wissenschaft und Bildung im 21. Jahrhundert".

Verschlepptes Herzensprojekt

Eine Nacht-und-Nebel-Aktion ist die Umstellung nicht, im Gespräch ist sie bereits seit der Unabhängigkeit des Landes 1991. Nach den ursprünglichen präsidialen Plänen sollte die Reform 2015 abgeschlossen sein, bei der heuer in Astana stattfindenden Weltausstellung Expo wollte man bereits ein europäisch orientiertes Gesicht zeigen. Doch abgesehen von den Kosten der Latinisierung – sie werden auf 36 Milliarden Tenge (circa 108 Millionen Euro) geschätzt – steht dem Vorhaben anhaltende Kritik im Weg.

Laut einer Erhebung waren 2009 nur etwa 62 Prozent der Bevölkerung des 17,8-Millionen-Einwohner-Landes des Kasachischen mächtig, während Russisch 85 Prozent in Wort und Schrift beherrschten. Seit der Unabhängigkeit erlebt Kasachisch jedoch einen kontinuierlichen, politisch verordneten Aufschwung, so dürfen sich Staatsbeamte in den Medien seit 2005 etwa nur noch auf Kasachisch äußern.

Einige russische Medien befürchten durch die Umstellung des Schriftsystems eine Herauslösung Kasachstans aus dem Verband der "russischen Welt" durch eine kasachophile Elite. Der russische "Kommersant" sieht in der Entscheidung des Langzeitpräsidenten Nasarbajew jedoch eher praktische Gründe: Er wolle sein Land an die anderen turksprachigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion annähern, die inzwischen fast alle auf die "Latiniza" umgestellt haben.

Nationale Selbstfindung

Mit dem Plan eines einheitlichen Alphabets für alle turksprachigen Völker wollen die Befürworter in den Staaten ihre historische Verbundenheit und ihre Orientierung Richtung Europa ausdrücken. Ein Sprachwissenschafter aus Aserbaidschan sagte dem "Kommersant", sein Land habe beim Übergang zum Lateinischen auf das "positive Beispiel Türkei" geschaut. Dieser Schritt habe ihr "den Weg ins europäische Sprachenfeld geebnet".

In der von Wladimir Putin initiierten Eurasischen Wirtschaftsunion (EEU) wäre Kasachstan das einzige Land mit lateinischer Schriftsprache. Kirgisistan, ebenfalls in der EEU, hat die Latinisierung zwar schon beschlossen, jedoch auf unbestimmte Zeit verschoben.

Dem kasachischen Idiom wurde im vergangenen Säkulum bereits mehrmals eine neue Ausdrucksform verschrieben, die politische Führung zeigte damit ihre jeweilige national-ideologische Orientierung. Das Mäandern zwischen Arabisch (bis zur Oktoberrevolution), Lateinisch, Kyrillisch und seit den 1990ern wieder Lateinisch, das Kasachstan mit den anderen turksprachigen Mitgliedern der ehemaligen Sowjetunion teilt, ist deren unsteter Sprach- und Schriftpolitik geschuldet, die zwischen massiver Förderung nationaler Ausdrucksformen und rigoroser Russifizierung pendelte.

Phonematische Kollateralschäden

Die oktroyierte Änderung der Schrift stellt vor allem die weniger gebildete Bevölkerung vor massive Probleme, Folge war in der Vergangenheit unter anderem Verweigerung und Abfall der Alphabetisierungsrate. Experten sorgen sich vor einer langfristigen Veränderung des Sprachkörpers durch eine so häufige Schriftumstellung. Auch der aktuell laufende Eingriff ist langwierig und erfolgt nicht ohne Komplikationen.

Seit 25 Jahren werden linguistische Grabenkämpfe darüber ausgefochten, ob und wie das komplexe kasachische Lautsystem in lateinischen Lettern ausgedrückt werden kann. Das derzeit gebräuchliche kyrillische Alphabet umfasst mit den Lauten, die nur für Fremdwörter gebraucht werden, 42 Phoneme. Sprachwissenschafter befürchten den Verlust spezifischer Laute im Laufe der Generationen, wenn es im Lateinischen keine Buchstaben mehr dafür gibt. (Florian Supé, 20.4.2017)