Die meisten Mittelständler erwägen, auch andere Geldquellen als nur die Hausbanken anzuzapfen.

Foto: APA/BARBARA GINDL

Wien – Mehr als drei von vier mittelständischen Unternehmen haben im deutschsprachigen Raum in den vergangenen fünf Jahren Fremdkapital aufgenommen, und dieses war in neun von zehn Fällen ein klassischer Bankkredit. So weit scheint alles beim Alten zu sein – doch unter der Oberfläche zeichnet sich ein Gesinnungswandel ab, wie eine Umfrage der österreichischen Crowdinvesting-Plattform Finnest.com unter Führungskräften von Mittelständlern ergibt. "Das Ergebnis ist eindeutig", sagt Geschäftsführer Jörg Bartussek, "der Bankkredit allein befriedigt den Kapitalbedarf und die geänderten Bedürfnisse zahlreicher Mittelständler nicht mehr".

Denn mehr als 76 Prozent der befragten Manager gaben an, auch an anderen Finanzierungen interessiert zu sein. 45 Prozent befinden sich bereits aktiv auf der Suche nach anderen Geldquellen. Als Ursache führt Bartussek die als zu groß empfundene Abhängigkeit von Banken an: Firmen würden bei Produktportfolios und Zulieferern differenzieren, daher wollten sie auch bei der Kapitalaufnahme Alternativen nutzen. Eine davon: Online-Finanzierungen mittels Crowdinvesting.

Grafik: DER STANDARD

Allerdings mangelt es trotz zunehmender Verbreitung und Beliebtheit von Crowdinvesting mitunter noch an Wissen oder Erfahrungswerten mit dieser Finanzierungsform. Die Hälfte der befragten Führungskräfte geht etwa davon aus, dass dieses Instrument hauptsächlich für Start-ups geeignet sei – wogegen Bartussek vehement widerspricht: "Unternehmen und Investoren erkennen, dass Crowdinvesting zunehmend zu einer seriösen Option für etablierte Mittelständler wird."

Zu den Vorteilen zählt Bartussek, dass Crowdinvesting bei entsprechender Ausgestaltung, etwa als Mezzaninkapital, die Bilanzstruktur verbessern könne, was künftige Bankfinanzierungen erleichtere. Zudem lassen sich Online-Finanzierungen ihm zufolge auch für Marketing und zur Kundenbindung einsetzen. "Sobald sich ein breiteres Wissen um die Vorteile dieser Finanzierungsform durchgesetzt hat, wird sie schnell zu einem Standard im Finanzierungsmix mittelständischer Unternehmen werden", erwartet Bartussek. "Dann sind Unternehmensfinanzierungen übers Internet so normal wie Online-Banking."

Kleinteilige Transaktionen

Auch aus Sicht der Anleger wären mehr Investitionsmöglichkeiten in Mittelständler zusätzlich zu den zahlreichen Start-ups, die sich über die Crowd finanzieren wollen, wünschenswert. Allerdings sollten Firmenlenker dazu wohl ihre Vorstellungen über die Mindestinvestitionssumme deutlich zurückschrauben. Fast 42 Prozent der von Finnest befragten Manager wollen offenbar keine kleinteiligen Transaktionen und würden mindestens eine Veranlagung von 10.000 Euro pro Person verlangen. Da bei Crowdinvesting die Positionen ähnlich wie am Aktienmarkt auf mehrere Titel gestreut werden sollten, würde dies manche Privatanleger mit begrenztem Kapitalstock vor erhebliche Probleme stellen.

Zuletzt hat mit der Oekostrom AG ein heimischer Mittelständler ein Crowdinvesting abgeschlossen. Binnen 48 Stunden haben 439 Anleger über die Plattform Conda Aktien im Wert von einer Million Euro an dem Energieversorger erworben. Nun steht mit der genossenschaftlichen Deutschen Bürger Energie der nächste Branchenvertreter am Start. Ab mindestens 100 Euro können sich Anleger über Conda an dem bayerischen Stromversorger über ein Nachrangdarlehen auf zehn Jahre beteiligen. Das Kapital wird – unter gewissen Voraussetzungen – mit 4,5 Prozent verzinst. Für ein ebenfalls zehnjähriges Nachrangdarlehen bietet auf der Plattform Green Rocket die auf medizinische Qualitätskontrolle spezialisierte Wiener Mycoplasma Biosafety zwischen vier und fünf Prozent Zinsen.

Zuletzt ist auch die Finanzierung des Schweizer Independentfilms The Pitts Circus über die Bühne gegangen. Bemerkenswert: Mittels Blockchain-Technologie, auf der auch die Online-Währung Bitcoin basiert, wurden via Crowdfunding sogenannte Token an Investoren abgegeben. Diese berechtigen Inhaber auf 20 Jahre zum Erhalt von 50 Prozent des jährlichen Nettogewinns. Die Token können zudem auf zwei Onlineplattformen laufend gehandelt werden. Die "Marktkapitalisierung" des Leinwandabenteuers beträgt demzufolge umgerechnet knapp 1,7 Millionen Euro. (Alexander Hahn, 23.4.2017)