Wien – Es war der britische Evolutionsbiologe und Bestsellerautor Richard Dawkins, der 2013 auf die Bitte, seinen unerschütterlichen Glauben an die Wissenschaft zu begründen, sagte: "It works, bitches!" Flugzeuge fliegen, Autos fahren, Computer rechnen, Satelliten beobachten den Klimawandel auf der Erde, die keine Scheibe ist, und ohne Wissenschaft wäre die moderne Medizin unvorstellbar. All das ist längst erwiesen – dennoch muss sich die erkenntnisgetriebene Forschung immer wieder rechtfertigen und werden längst anerkannte Fakten bezweifelt.

Und da diese Ignoranz gegenüber den Wissenschaften nicht mehr vor den Büros von Regierungschefs haltmacht, entstand die Idee, den "Tag der Erde" am Samstag, den 22. April, zu nützen, um für die Wissenschaft auf die Straße zu gehen. Der March for Science fand in 500 Städten weltweit statt – auch in Wien.

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Wissenschafter demonstrieren für Fakten statt Fake-News.
Foto: AP/Sanchez

Wissenschafter sind es gewöhnt, sich rechtfertigen zu müssen: Ihre öffentlich finanzierte Arbeit muss von Experten mittels Peer Review beurteilt und auch den Steuerzahlern erklärt werden. Zuletzt schienen aber die Leugner von Fakten, die Wissenschaftsskeptiker, immer häufiger in den Vordergrund zu treten. Gestärkt durch Politiker wie den US-Präsidenten Donald Trump, der nicht an den Klimawandel glaubt, ihn in einem Tweet von 2012 sogar als Erfindung der Chinesen bezeichnete, die nur den Zweck hätte, der Wettbewerbsfähigkeit der US-amerikanischen Industrie zu schaden. Trump gab auch Impfgegnern immer wieder Rückenwind – unter anderem mit der Behauptung, Impfungen im Kindesalter würde die Zahl der Autismusfälle deutlich erhöhen.

Keine ganz neuen Aussagen

Natürlich sind derlei Aussagen von Politikern und Aktivisten nicht neu, wie der Schriftsteller Shawn Otto in seinem Buch The War on Science (Milkweed, 2016) schreibt. Impfgegner gebe es ebenso lange wie Impfungen. Schon 1870 haben Demonstrationen gegen Pockenimpfungen in England stattgefunden.


Hintergründe des March for Science.
VOA News

Trump ist natürlich nicht der einzige Politiker, der solcherart argumentiert und letztlich auch Einfluss auf die unabhängige Wissenschaft nimmt. Er selbst hat den Klimaskeptiker Scott Pruit zum Chef der Umweltbehörde EPA bestellt. Ein aktuelles Beispiel aus Europa: das von Ungarns Präsident Viktor Orbán initiierte Gesetz, das Lehre und Forschung der Central European University (CEU) in Budapest verbietet. Die vom Milliardär George Soros, einem erklärten Gegner Viktor Orbáns, gegründete Hochschule ist gefährdet.

Ein gefährlicher Trend, wie immer mehr Wissenschafter meinen, denn politische Beschränkungen der wissenschaftlichen Freiheit seien ein Angriff gegen die Demokratie. Andrew Lippman, Senior Scientist am MIT Media Lab in Boston, sagte zuletzt in einem öffentlichen Vortrag: "Politiker haben der Wissenschaft die Kultur genommen." Er sprach vom "Ugly head of politics".

Auch der Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny, Mitglied im österreichischen Forschungsrat, gibt die Situation zu denken: "Wir leben jetzt in einer Zeit, in der sowohl die Zukunft von Demokratie als auch der Wissenschaft auf dem Spiel stehen. Dem lässt sich nur durch eine Stärkung des kritischen Denkens und der Urteilsfähigkeit gegensteuern – im Bildungssystem und in der Zivilgesellschaft. Die Wissenschaft ist gefordert, ihre Resilienz unter Beweis zu stellen."

Keine gute Idee?

Der March for Science soll ein äußeres Zeichen sein – obwohl von den Veranstaltern immer wieder betont wird, dass das keine Demonstration gegen Politiker, sondern für die Wissenschaft sein soll. Und selbst als solcher wird er nicht von allen Wissenschaftern gutgeheißen: Der Geologe Robert Young zum Beispiel schrieb in der New York Times vom 31. 1. dieses Jahres: "A Scientists' March on Washington Is a Bad Idea." Begründung: Die konservativen Wissenschaftsskeptiker würden nur in ihrem Vorurteil bestätigt werden, Wissenschafter seien eine Interessengruppe, die ihre Forschungen und Erkenntnisse nur für ihre eigene Zwecke nütze. Aber darf man deswegen als Gruppe nicht auftreten?


Klimaforscher wie Naomi Oreskes demonstrieren gegen die Trump-Administration und sagen, warum Klimaforschung wichtig für den Planeten ist.
greenman3610

Andere Wissenschafter wiederum stehen zu 100 Prozent dahinter und treten auch als Unterstützer auf – wie etwa der Gewässerökologe Klement Tockner, Präsident des Wissenschaftsfonds FWF. Er sagt: "Der March for Science macht darauf aufmerksam, dass eine offene und unabhängige Wissenschaft eine zentrale Säule einer aufgeklärten Gesellschaft ist so wie Pressefreiheit und freier Zugang zu Informationen." Und weiter: "Es benötigt daher ein uneingeschränktes politisches Bekenntnis, dass wir eine Forschungsnation und wissensbasierte Gesellschaft sind."

Tockner warnt mit Hinblick auf zahlreiche Klimaskeptiker, die sich von Politikern wie Trump bestärkt fühlen: "Es wird die zukünftige Generation den Preis bezahlen müssen, wenn wissenschaftliche Evidenz und öffentliche Einschätzung, etwa zu den Ursachen und Folgen des Klimawandels, immer weiter auseinanderdriften."

Postfaktisch und totalitär

Oliver Vitouch, Rektor der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt und Vorsitzender der Universitätenkonferenz, sagt zum derzeitigen politischen Klima in Ländern wie den USA oder Ungarn: "Diese Gegenaufklärung, das Postfaktische und Totalitäre, geht international gerade zu weit." Er bringt eine historische Komponente in die Diskussion und sagt: "Wissenschaft ist ein Bollwerk der Vernunft. Ihr Anspruch ist es, nicht einfach zu behaupten, sondern zu belegen: zu prüfen, nachzuweisen und den Dingen auf den Grund zu gehen. Österreich hat mit der Vertreibung der Vernunft bittere historische Erfahrungen, die bis heute nachwirken."

Bleibt die Frage, ob die Bedeutung der Wissenschaft heute wirklich allen Menschen klar ist, die Wissenschaftsskepsis in Österreich wurde durch Eurobarometerumfragen mehrfach belegt. Aber muss man sich deshalb fragen, ob der Aufmarsch der Wissenschafter am kommenden Samstag hierzulande ungehört bleibt? In den USA glauben viele Menschen nicht an den Klimawandel – Umfragen sprechen sogar von 30 Prozent. Das war vor der Präsidentschaft von Donald Trump.

Aber sind die US-Amerikaner deswegen wissenschaftsfeindlich? Eine Umfrage vom Pew Research Center von 2015 zeigte den tiefen Respekt der Bevölkerung für die Leistungen von Wissenschaft und Forschung. Die Anerkennung von Wissenschaft scheint also nicht vor Irrglauben in der Bevölkerung zu schützen.

Tom Henzinger, Präsident des IST Austria in Klosterneuburg, ist optimistisch, dass das politische Klima wieder positiver wird: "Ideologien kommen und gehen, Märkte entwickeln sich rauf und wieder runter, Favoriten gewinnen und verlieren, nur das Wissen wächst." – Eine beinahe tröstliche Weisheit angesichts der Umstände. (Peter Illetschko, 21.4.2017)