Lilli Hollein, Direktorin der Vienna Design Week, lebt in jener Wohnung im vierten Bezirk, in der sie aufgewachsen ist. Hier schätzt sie Urbanität mit Blick aufs Belvedere, die "Loosbar" im Schlafzimmer – und manchmal sogar die stetig am Haus vorbeiziehenden Autokolonnen.

"In dieser Wohnung bin ich aufgewachsen. Sie wird schon lange von meiner Familie bewohnt. Seit 1997 bin ich die Hauptmieterin und wohne hier mit meinem Mann und meiner Tochter.

Von früh bis spät lichtdurchflutet ist die Wohnung von Lilli Hollein, in der sie mit Mann, Kind und Katze wohnt.
Foto: Daniel Gebhart de Koekkoek

Ich finde durchgestaltete Wohnungen durchaus toll. Aber ich muss Sie enttäuschen: Das hier ist keine. Das war früher schon die größte Enttäuschung, wenn Schulfreunde zu Besuch kamen und sich gedacht haben: Der Hans Hollein hat sicher ein großartiges Haus. Dann kamen sie rein in diese unglaublich vollgeräumte Wohnung, die gar kein Ausweis des Architekten war. Eine Schulfreundin hat einmal gesagt: "So wohnt ihr? Ich habe gedacht, ihr habt einen Springbrunnen im Vorzimmer."

Fotos: Daniel Gebhart de Koekkoek

Also ich fürchte, die Geschichte wiederholt sich. Unsere Wohnung ist ein Ort, wo manche Ecken bewusster gestaltet sind und andere sich einfach ergeben. Letztes Jahr gab es aber eine große Neuerung: Das erste Mal in meiner Generation wurden die Böden geschliffen. Über die Jahre haben sich tausende Bücher angesammelt, und an der Wand hing überall Kunst. Das musste alles ausgeräumt werden, weil wir auch neu ausmalen wollten. Die Bücher sind jetzt großteils in einem Zimmer, das wir nun ausschließlich als Bibliothek nutzen. Gut, dass direkt unter uns ein Statikerbüro ist. Die geben rechtzeitig Bescheid, wenn es gefährlich wird.

Foto: Daniel Gebhart de Koekkoek

Seither ist für mich ein neues Wohngefühl entstanden. Sosehr ich beides mag: Diese nunmehr einjährige Karenz von Büchern und Bildern und das Leben mit weißen Wänden sind sehr wohltuend. Langsam bekomme ich aber wieder Lust, Kunst aufzuhängen. Ehrlicherweise ist die momentane Situation wohl langfristig auch gar nicht haltbar, weil es in diesen Haushalt pro Woche einige Bücher reinschwemmt. Und auch unsere Katze Mimi ist ein Gegenprogramm zur Ordnung. Leider hat sie es auf die Möbel abgesehen. Die Sessel beim Esstisch hat mein Vater entworfen. Die hat schon meine Katze, als ich ein Kind war, bearbeitet. Und die Katze meiner Tochter steht ihr in nichts nach.

Die meisten Dinge in Lilli Holleins Wohnung haben eine Geschichte: Die Sessel "Galaxy" zum Beispiel, ...
Foto: Daniel Gebhart de Koekkoek

Das Schöne an dieser Wohnung ist, dass sie von früh bis spät lichtdurchflutet ist. Der Erste Campus gegenüber nimmt uns zwar ein bisschen von der Sonne, dafür reflektiert er aber auch abends Licht herein. Insgesamt hat sich unsere Wohngegend in den letzten Jahren sehr zum Positiven verändert. Wobei ich immer gerne hier gewohnt habe – auch wenn ich sechs Spuren Stadtautobahn vor dem Fenster habe. Man spürt jeden Laster, der vorbeidonnert. Gleichzeitig finde ich aber, dass die Lichter der vielen Autokolonnen, die an unserem Haus vorbeiziehen, an einem Winterabend eine unglaubliche Dynamik erzeugen. Ich mag das. Außerdem gibt mir der viele Verkehr das Gefühl, dass ich halbwegs in der Großstadt wohne – und gleichzeitig habe ich freien Blick auf das Belvedere und den Botanischen Garten vor der Haustür.

... das Porträt ihres Vaters Hans Hollein oder die kleine "Loosbar" von Breaded Escalope.
Fotos: Daniel Gebhart de Koekkoek

Mir ist Ausblick so wichtig, dass wir bisher noch keine Vorhänge im Esszimmer aufgehängt haben. Das ist auch bezeichnend dafür, wie ich hier aufgewachsen bin: Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, wenn einem jemand beim Leben zuschaut, nachdem ich lang kein Gegenüber hatte. Daher lebe ich hier ganz ungeniert. Die Mitarbeiter des Erste Campus mögen mich darauf hinweisen, wenn man bei mir reinsieht.

Aber natürlich – wenn man sich die Kräne vor unserem Fenster ansieht, dann wird klar, dass es hier eine dramatische Veränderung geben wird. Von der Weite, die man jetzt empfindet, wenn man aus dem Fenster schaut, wird dann nicht mehr viel übrig sein.

Fotos: Daniel Gebhart de Koekkoek

Dieser Ort ist keine Repräsentationswohnung, die ich als erweiterten Showroom für meine berufliche Tätigkeit nutze. Vieles von dem, was hier ist, ist aus einem ganz bestimmten Grund hier. Den Sessel von Karl Schwanzer hat mein Mann eingebracht. Das Speisezimmer-Ensemble ist von Clemens Holzmeister, den Teppich haben mein Mann und ich für ein Zimmer im Hotel Altstadt Vienna entworfen. Langweiligerweise haben wir natürlich auch einige Eames-Möbel – da kommen zwei ausgebildete Designer nicht daran vorbei.

Besonders stolz sind wir auf unsere kleine "Loosbar" im Schlafzimmer, die vom österreichischen Designteam Breaded Escalope stammt – inklusive charakteristischer Spiegeleffekte! Mein Mann und ich haben dort vor 19 Jahren eine gemeinsame Zukunft begonnen. Meine Tochter nutzt sie nun mit Begeisterung. Es hocken also jetzt dauernd junge Mädels bei uns im Schlafzimmer.

Mein Wohntraum? Ich will sicher nicht raus aus der Stadt. Ich habe auch alle Kinderbücher beim Vorlesen zensiert, die dauernd diesen Traum vom Leben auf der Insel befördern. Ich bin ein urbaner Mensch, und ich lebe sehr gerne in Wien. Wenn es noch ein Spitzenschwimmbad oder einen See in der Nähe gäbe, dann wäre das die Steigerung unseres Glücks." (2.5.2017)