Für die einen ist es das Motorrad schlechthin, für die anderen nichts: Fans der US-Kultmarke Harley Davidson bei einer Parade im Vorjahr am Faaker See in Kärnten.

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Christoph Engl, Geschäftsführer des Markenberatungsunternehmens Brain Trust mit Sitz in Nürnberg und Filiale in Wien.

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Weniger sei mehr, auch und gerade im Tourismus, sagt der gebürtige Südtiroler Christoph Engl. Wer versuche, mit möglichst viel Angeboten und Versprechungen zusätzliche Gäste oder Kunden zu gewinne, ende zwangsläufig in der Mittelmäßigkeit und werde unter Wert geschlagen, sagt der auf Marken spezialisierte Engl, der mit "Destination Branding" erst unlängst ein preisgekröntes Sachbuch vorgelegt hat.

STANDARD: Manche in Hotellerie und Handel sagen, entscheidend für den Erfolg sei der Standort, der Standort und nochmals der Standort. Muss es bei Produkten folgerichtig "Marke, Marke, Marke" heißen?

Engl: Das könnte man pointiert so sagen, wobei sich das in gesättigten Märkten aber ändert. Allein die Lage macht nicht mehr meine Relevanz aus. Das ist der Grund, warum viele Platzhirsche in Handel und Hotellerie ihre Bedeutung an andere verlieren, die sich zwar in schlechteren Lagen befinden, aber deutlich höhere Relevanz bei Kunden haben. Bei Restaurants würde ich sogar behaupten, dass gut frequentierte Lagen noch immer gute Qualität verhindert haben.

STANDARD: Und bei Tourismusdestinationen?

Engl: Viele glauben noch immer, dass Lage und Erreichbarkeit ihren Erfolg absichern. Das ist nachweislich falsch. Es hat noch niemanden gegeben, der in eine Destination wollte und diese nicht gefunden hätte. Erreichbarkeit ist wichtig und muss sichergestellt sein. Als Destination muss es mir darüber hinaus aber gelingen, Sehnsucht bei den Menschen zu wecken – da möchte ich hin, das möchte ich haben.

STANDARD: Beispiele?

Engl: Viele wollen auf die Malediven oder nach Mauritius, ohne zu wissen, wo das Ziel genau liegt. Sie haben Assoziationen im Kopf, die mit der Geografie immer weniger, mit Emotionen dafür immer mehr zu tun haben.

STANDARD: Wann wird eine Region, eine Stadt, ein Standort oder ein Hotel zur Marke?

Engl: Wenn die Geografie in den Hintergrund und die Bedeutung, die eine Region, eine Stadt oder ein Produkt bei den Menschen hat, in den Vordergrund tritt. Bei einer Marke wie Rolls Royce weiß jeder sofort, was für ein Auto das ist, auch ohne jemals drinnen gesessen zu sein. So ist es auch bei Destinationen. Wenn sich Bilder einstellen und man sofort weiß, das ist teuer bzw. nicht teuer, selektiv bzw. nicht selektiv, dann hat diese Destination Markenstatus erreicht.

STANDARD: Viele Destinationen versuchen, möglichst viel hineinzupacken, um noch mehr Gäste anzusprechen ...

Engl: ... und das Resultat ist in der Regel grausame Durchschnittlichkeit. Jede Marke, die sich in der Vielfalt verliert, ist verloren. Starke Marken profilieren sich immer an der Kante. Harley Davidson zum Beispiel ist für die einen das beste Motorrad überhaupt, für die anderen nichts. Marken, die keine Feinde haben, sind keine geilen Marken. Beispiel Desigual: Es gibt Leute, die sagen, ich liebe es, diese exzentrische Form zusammengenähter Stoffreste zu tragen. Andere wiederum lehnen das komplett ab, möchten nie im Leben als Paradiesvogel auftreten.

STANDARD: Worum geht es, um Polarisierung?

Engl: Das auch. Und darum, den Brillanten, den man hat, zu schleifen – sprich die Kernkompetenz, die jeder für sich definieren muss, auf die Spitze zu treiben. Das heißt Konzentration auf Weniges, darin aber möglichst perfekt sein. Serfaus-Fiss-Ladis ist ein gutes Beispiel. Diese Destination steht klar für familienfreundlichen Urlaub. Wenn ich sicher sein will, dass meine Familie gut aufgehoben ist, fahre ich dorthin. Auch andere Destinationen versuchen, sich familienfreundlich zu geben, fallen aber in die Kategorie "wir auch".

STANDARD: Und Authentizität?

Engl: Die ist entscheidend. Wer nicht glaubwürdig ist, steht auf verlorenem Posten. Man stelle sich ein Wellnesshotel vor, dessen Besitzer der Ansicht ist, Wellness ist blöd. Oder ein Mountainbike-Hotel, wo man nicht weiß, wie eine Übersetzung ausschaut, und wo auch niemand Shimano buchstabieren kann. Die Glaubwürdigkeit ist damit dahin. Und damit auch das Vertrauen des Kunden.

STANDARD: Woran liegt es, dass so viele Destinationen weder Fisch noch Fleisch sind?

Engl: Zwei Gründe. Erstens ist Tourismus immer auch eine willkommene politische Spielwiese. Politik lebt aber von Stimmenmaximierung und nicht von Verdichtung. Zweitens sind Destinationen unterschiedlich gewachsen, in den wenigsten Fällen strategisch. Am Ende möchte man all den Wildwuchs abbilden und für alles Kunden finden. So wird das gesamte Inventar in die Auslage gestellt in der Hoffnung, irgendwer wird es schon haben wollen.

STANDARD: Wie kommt man aus dieser Falle?

Engl: Auch wenn der Bestand irgendwie verwaltet werden muss, entbindet das nicht von der Frage, in welche Richtung das Angebot entwickelt werden soll, um an Kunden zu kommen, die deshalb buchen, weil ich das beste Angebot in diesem Segment habe. Ich muss mich entscheiden, woran ich erkannt werden will. Davor scheuen viele zurück.

STANDARD: Wie problematisch ist es in puncto Authentizität, Mitarbeiter einzusetzen, die nicht das Idiom der Region beherrschen?

Engl: Jeder würde so wie viele spontan sagen, Knödel in den Alpen und Wiener Schnitzel in Wien sollten von einem bodenständigen Tiroler bzw. einer waschechten Wienerin serviert werden. Das ist die Idealvorstellung, davon sind wir aus verschiedenen Gründen weit entfernt. Man kann sich aber fragen, ob nicht anderes im Vordergrund stehen muss. Mir ist im Zweifel jemand lieber, der aus Polen kommt und das Knödelgericht wertschätzt, als jemand, der aus der Region stammt, den Knödel aber als Arme-Leute-Essen empfindet und das auch so vermittelt.

STANDARD: Kann sich Österreich so viele Destinationen leisten?

Engl: Das ist immer eine Frage der Betrachtung. Je internationaler agiert wird, desto großräumiger muss ein Produkt platziert und positioniert werden, wenn es Erfolg haben soll.

STANDARD: Sind Marken wie Österreich, Schweiz, Südtirol in Zeiten starker Verunsicherung mehr wert?

Engl: Absolut. Momentan profitieren diese Märkte von der Unsicherheit, die anderswo durch Terrorismus ausgelöst wird. Sicherheit ist ein Gut, das nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Das Blatt kann sich aber rasch wenden, wie man beispielsweise in Südamerika sieht. Bis 2012 wurde Kolumbien noch als gefährlichstes Land der Welt eingestuft, 2017 gilt es als der absolute touristische Geheimtipp. Dazwischen liegen nur fünf Jahre. So schnell kann sich das ändern. (Günther Strobl, 24.4.2017)