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Warnung an die Austrotürken per Schlagzeile: Zwei Staatsbürgerschaften sind laut dem strengen österreichischen Gesetz nur in Ausnahmefällen zulässig. In anderen Ländern sind Doppelpässe üblich.

Foto: Christian Fischer

Frage: Seit Wochen wird über türkische Doppelstaatsbürgerschaften diskutiert. Was ist denn eigentlich das Problem?

Antwort: Bis auf einige Ausnahmen ist es hierzulande verboten, zusätzlich zur österreichischen eine zweite Staatsbürgerschaft zu besitzen. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) hatte im Zuge des türkischen Verfassungsreferendums türkischen Doppelstaatsbürgern den Kampf angesagt – zumindest rhetorisch. Faktisch sind die österreichischen Behörden handlungsunfähig, da unklar ist, wie viele Türken in Österreich zwei Pässe besitzen. Der grüne Nationalratsabgeordnete Peter Pilz behauptet, über das gesamte austrotürkische Wählerverzeichnis zu verfügen. Auch mehreren Medien wurden Datensätze zugespielt. Sobotka kennt diese Listen nach eigener Aussage allerdings nicht. Es seien aber ohnehin die Länder und Bezirkshauptmannschaften zuständig, sagt er.

Frage: Wie kann es dazu kommen, dass Türken zwei Pässe haben?

Antwort: Wird einem Einwanderer aus der Türkei die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen, muss er die türkische binnen zwei Jahren zurückzulegen. Tut er das nicht, verliert die österreichische Staatsbürgerschaft theoretisch ihre Wirkung. Natürlich aber bloß dann, wenn der Staat Österreich von der zweiten Staatsbürgerschaft erfährt – und der Informationsaustausch zwischen österreichischen und türkischen Behörden funktioniert bereits seit einigen Jahren nicht mehr. Sobotka vermutet, dass manche türkischstämmigen Österreicher nach der Einbürgerung einfach wieder einen türkischen Pass dazunehmen. Das passiere oft auf Druck der Türkei hin, zitiert ORF Oberösterreich Betroffene.

Frage: Was passiert, wenn jemand schlecht informiert war – und ohne Wissen über die rechtlichen Folgen zusätzlich zur österreichischen Staatsbürgerschaft die türkische angenommen hat?

Antwort: Das Recht kennt hier keine Toleranz. Wenn bekannt wird, dass jemand zusätzlich zur österreichischen eine andere Staatsbürgerschaft angenommen hat, ohne dass eine Doppelstaatsbürgerschaft bewilligt war, dann verliert der oder die Betroffene die österreichische Staatsbürgerschaft. Es gibt jedoch Stimmen, etwa bei den Grünen und der SPÖ, die sich für eine kulante Lösung aussprechen: Nach einer solchen Regelung könnten Betroffene eine Gnadenfrist bekommen, innerhalb derer sie die fremde Staatsbürgerschaft zurücklegen könnten, nachdem sie erwischt wurden. Innenminister Sobotka hatte hohe Geldstrafen gefordert, scheint das Interesse an der Thematik aber langsam zu verlieren: "Ich habe derzeit wirklich gravierende Herausforderungen zu meistern. Das ist nicht das erste Sicherheitsrisiko des Landes Österreich."

Frage: Würde den Behörden das austrotürkische Wählerverzeichnis vorliegen, könnten sie massenweise Menschen ausbürgern, wenn sie illegalerweise Doppelstaatsbürger sind?

Antwort: Nein. Denn erst müsste man den Betroffenen nachweisen, dass sie Doppelstaatsbürger sind – und das wird mangels Kooperation der türkischen Behörden schwierig sein. "Ohne Beweis wird man gar nichts tun", heißt es bei der in Wien zuständigen Magistratsabteilung 35 auf Anfrage des STANDARD. Auch die Tatsache, dass ein österreichischer Staatsbürger, der sich auf einer der kursierenden Listen befindet, in einem sogenannten Feststellungsverfahren nicht mitwirkt, könne dem Betroffenen nicht zum Nachteil ausgelegt werden, heißt es. Man könne jemandem die Staatsbürgerschaft schließlich nicht auf bloßen Verdacht hin entziehen. Dazu kommt, dass sich auf den kursierenden Listen offenbar auch Namen von Personen befinden, die glaubhaft versichern, ihre türkische Staatsbürgerschaft längst zurückgelegt zu haben. Fazit: Wer Doppelstaatsbürger ist, ist schwer zu ermitteln.

Frage: Und wie reagieren die Behörden jetzt auf die Berichte über angebliche Wählerlisten?

Antwort: Ein STANDARD-Rundruf bei den zuständigen Landesräten in mehreren Bundesländern ergab, dass die Stellen ihre Informationen derzeit selbst nur aus Medienberichten beziehen und noch keine Listen erhalten haben. Für die Beschaffung der Daten sei das Innenministerium zuständig, hieß es aus Kärnten. Pilz hatte angekündigt, den Behörden seine Liste zukommen zu lassen, wenn gesichert sei, dass jene, die ohne ihr Wissen Doppelstaatsbürger waren, keine Nachteile zu erwarten haben.

Frage: Wann sind Doppelstaatsbürgerschaften legal?

Antwort: Es gibt Länder, in denen die Staatsbürgerschaft ein Recht ist, das man gar nicht ablegen kann – in diesen Fällen wird eine Mehrfachstaatsbürgerschaft toleriert. Eine andere Möglichkeit ist, wenn die Eltern bei der Geburt unterschiedliche Pässe besaßen, auch dann kann das Kind mehrere Staatsbürgerschaften behalten.

Frage: Wie viele Türken leben denn eigentlich in Österreich?

Antwort: Rund 15 Prozent aller Menschen, die in Österreich leben, sind ausländische Staatsangehörige – insgesamt also etwas mehr als 1,3 Millionen Personen. Fast die Hälfte von ihnen stammt aus anderen Ländern der Europäischen Union. Die Statistik Austria hat erhoben, dass etwa 117.000 Menschen in Österreich die türkische Staatsbürgerschaft haben – ob oder wie viele jener auch einen österreichischen Pass besitzen, lasse sich jedoch nicht beantworten, heißt es dort. Türkischen Migrationshintergrund haben fast 272.000 Menschen – unter diese Zahl fallen alle Einwanderer erster und zweiter Generation.

Frage: Wie häufig werden türkische Staatsangehörige eingebürgert?

Antwort: Die Einbürgerungen gingen infolge der Verschärfung des Staatsbürgerschaftsrechts stark zurück. In Wien wurden im Jahr 2015 knapp 3000 Menschen eingebürgert – davon waren nur 280 zuvor türkische Staatsangehörige. Insgesamt weist Österreich die fünftniedrigste Einbürgerungsquote innerhalb der EU auf. (Katharina Mittelstaedt und Maria Sterkl, 24.4.2017)