Der BND ist seit Ewigkeiten in Österreich aktiv.

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In Sachen Sammelwut steht der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) der viel kritisierten US-National Security Agency (NSA) in nichts nach. Das belegen immer wieder neue Skandale, von denen auch Österreich betroffen ist. Wie alles begonnen hat, das erzählt ein neuerschienenes Buch.

"Operation Panik"

Ein Brandsatz geht in einer Pizzeria hoch, andere auf Plätzen und in Bahnhöfen. Nur der Zufall verhindert ein Flammeninferno. Zwei Tage lang – am 8. und 9. September 1961 – verüben kleine Gruppen deutscher und österreichischer Studenten Anschläge in mehreren italienischen Großstädten. Diese "Operation Panik" richtet sich bewusst gegen Zivilisten, was im Südtirolkonflikt bis dahin vermieden worden war. Die Täter stammen von deutschnationalen Burschenschaften. Angestiftet hat sie der Innsbrucker Universitätsdozent Norbert Burger, jahrzehntelang eine Schlüsselfigur der rechtsextremen Szene. Soviel ist bekannt. Was bislang niemand wusste – ein Tatbeteiligter war Informant des Bundesnachrichtendiensts (BND). Rainer M., damals Mitglied in der "Olympia" und Chefredakteur der Zeitung des "Ring Freiheitlicher Studenten" (RFS), war 1960 in Wien vom deutschen Geheimdienst als "Quelle" angeworben worden. Er sollte Informationen über die Tschechoslowakei beschaffen. Die Verhaftung in Italien löste in der BND-Zentrale in Pullach Panik aus. Man befürchtete, in die Vorgänge verwickelt zu werden. Aber M. gelang es, seine Verbindungen zu verschweigen.

Während des Kalten Krieges in Österreich aktiv

Diese Episode ist nur ein Beispiel dafür, in welchem Ausmaß der BND während des Kalten Krieges in Österreich aktiv war. Recherchiert hat dies der Südtiroler Journalist und Historiker Christoph Franceschini – als Kapitel der neuen Studie "Spionage unter Freunden", die am 25. April 2017 im Berliner Ch. Links Verlag erschienen ist. Der Titel ist auch als Anspielung auf einen Satz von Angela Merkel von 2013 zu verstehen: "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht." Auf diese Weise echauffierte sich die Bundeskanzlerin darüber, dass die US-amerikanische NSA ihr Handy abgehört haben soll. Doch dann stellte sich heraus, dass der BND genauso "unter Freunden" spioniert hatte. Österreich zählte zu den Zielen – genauer gesagt zahlreiche mittelständische Unternehmen, Datenkabel der Telekom Austria und diplomatische Hotspots wie der Wiener OSZE-Sitz, aber auch Regierungsstellen "bis hinunter" zum Landwirtschaftsministerium. Zuletzt meldete der "Spiegel", dass selbst die internationale Polizeibehörde Interpol seit 2000 vom BND ausgespäht wurde – darunter das Wiener Büro.

NS-Kriegsverbrecher als Zuträger

Das neue Buch und speziell der Beitrag von Franceschini belegen nun, dass die Mantra, wonach hierzulande viel, aber selten gegen Österreich spioniert wird, nie gegolten hat. Begonnen hatte alles im Jahr 1948, als der Vorläufer des heutigen BND, die "Organisation Gehlen" (ORG), ihre Fühler austreckte. Aufgeklärt wurden die sowjetischen Streitkräfte und Besatzungsorgane sowie das politische Umfeld rund um die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ). Dabei, so Franceschini, stützte sich die ORG und später der BND auch auf Kriegsverbrecher wie Erich Rajakowitsch, ehemaliger Befehlshaber des SS-Sicherheitsdiensts in Den Haag oder Hermann Neubacher, SA-Gruppenführer und 1938-1940 Bürgermeister von Wien.

Mit der Zeit wurde daraus eine belastende Hypothek wie das Beispiel des 1951 angeworbenen ehemaligen SS-Obersturmführers Walter Vaeth zeigt. Einer seiner Zuträger hatte bei einem Treffgespräch über den Durst getrunken und konnte die Zeche nicht zahlen. Also ließ er die Brieftasche als Pfand zurück. Als Vaeths Mann Stunden später wieder erschien, erwartete ihn die österreichische Polizei. Dem Wirt war nämlich der Inhalt der Börse verdächtig vorgekommen. Bei einer anschließenden Hausdurchsuchung kam weiters Material zu Spionageplänen in Österreich zutage. So flogen nicht nur mehrere V-Leute auf, auch das Vertrauensverhältnis zwischen ORG und Staatspolizei nahm Schaden.

"Anschluss ans Reich" wirkt nach

Aber der Dienst war in Österreich ohnedies gut verankert. Sein Quellennetz reichte bis in die oberste Ebene der österreichischen Sicherheitsarchitektur. So stellte die ORG September 1952 eine Verbindung zu Maximilian Pammer, Sektionschef im Innenministerium, her. Noch in den 1980er Jahren soll Staatspolizeichef Anton Schulz geklagt haben, "der ‚Anschluss Österreichs ans Reich‘ wirke in den Gehirnen vieler leitender BND-Angehöriger fort, die sich schlechthin weigerten, die Eigenstaatlichkeit und die Souveränität Österreichs zu verinnerlichen".

"Befehlswidrige Kontakte"

Bereits 1949 hatte sich der ehemalige Wehrmachtsgeneral und namensgebende Leiter der ORG, Reinhard Gehlen, bemüßigt gefühlt, Einfluss auf den Aufbau des künftigen österreichischen Militärgeheimdiensts zu nehmen. Doch dies wurde von US-amerikanischer Seite abgeblockt. Die CIA wollte sich hier das Heft nicht aus der Hand nehmen lassen. Wie Franceschini darlegt, übernahmen die USA quasi die Patenschaft, indem sie die technischen Voraussetzungen finanzierten: Von Januar 1959 bis Juni 1960 flossen 1.250.000 Schilling in die Instandsetzung der Aufklärungsstation auf der Königwarte nahe Bratislava. Bis Dezember 1960 waren weitere 238.000 Schilling erforderlich. Erster Kommandant der so hoch gerüsteten "Gruppe für Nachrichtenwesen" (später "Heeresnachrichtenamt", HNaA) war Kurt Fechner, ein alter Kamerad von Gehlen. So überrascht es nicht, dass sich 1979 ein Amtsangehöriger bei Verteidigungsminister Otto Rösch über "befehlswidrige Kontakte von HNaA-Offizieren mit dem BND" beschwerte. Folgen hatte es keine. Noch 1989 wurde HNaA-Leiter Johann Ulrich in Pullach vorstellig, um sich über die Reformbewegungen im Ostblock briefen zu lassen.

Alte Seilschaften

Der eingangs erwähnte Südtirolkonflikt war für den BND von großem Interesse. Laut Franceschini, der dazu im BND-Archiv nachgeforscht hat, waren über 50 V-Leute auf das Thema angesetzt. Gehlen schaltete sich persönlich sein. Der überzeugte "kalte Krieger" ging davon aus, dass die Vorgänge zumindest teilweise vom Ostblock aus gesteuert wurden. Ein Informant, den der ehemalige SS-Hauptsturmführer Theodor Saevecke offeriert hatte, legte dann angebliche Belege für DDR-Verbindungen der Südtitrol-Attentäter vor. Erst genauere Nachforschungen verwiesen die Angaben des Manns, eines Kriegskameraden von Saevecke, ins Reich der Phantasie. Dem V-Mann wurde seine "Ausschaltung" 1961 brieflich mitgeteilt.

"Unfreundlicher Akt"

Das neutrale Österreich diente dem BND auch als Treffpunkt für "sensible Kontakte". Laut Franceschini fand am 13. Juni 1978 ein Geheimtreffen mit Abgesandten der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) in Wien statt. Dagegen wurden die wirtschaftlich motivierten Avancen von Bundeskanzler Bruno Kreisky gegenüber der DDR ausgesprochen kritisch gesehen. Als Erich Honecker 1980 Wien besuchte und es zu umfangreichen Vertragsabschlüssen kam, wurde dies "in Kreisen des BND als unfreundlicher Akt gegenüber der BRD gewertet". Entlarvender Nachsatz: "Der BRD-Wirtschaft sei ein fast sicheres Geschäft entgangen." So steht es in einer Information der DDR-Staatssicherheit, die über die Aktivtäten des BND in Österreich gut im Bilde war.

Das ehemalige Hauptquartier in Pullach bei München.
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Unter dem Strich bietet das Buch viel Neues und verdeutlicht, dass es so etwas wie "befreundete Dienste" nicht gibt. Es bleibt immer ein Spannungsfeld zwischen Kooperation und Konfrontation bestehen. Das musste nicht zuletzt der BND am eigenen Leib erfahren: 2016 wurde Markus R., ein Mitarbeiter der Pullacher Zentrale, wegen Landesverrats verurteilt. Er hatte 2012-2014 USB-Sticks mit gespeicherten Dokumentensammlungen für 25.000 Dollar verkauft. Und zwar im Rahmen von Treffen mit seinem Führungsoffizier, einem gewissen "Craig" von der CIA-Station in Wien. Spionage unter Freunden eben. (Thomas Riegler, 25.4. 2017)