Phnom Penh – Das boomende Immobiliengeschäft in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh kommt auch weiblichen Arbeitskräften zugute. Sie verdienen besser als anderswo, auch wenn der Lohn meist unter jenem der Männer bleibt. Dafür müssen sie sich eine Menge gefallen lassen.

Auf einer deutschen Baustelle würde Kem Sokhorn sofort auffallen. Wegen der Tücher über dem Helm, die die Hitze abhalten sollen, auch wegen ihrer Herkunft, vor allem aber: weil sie eine Frau ist. In Kambodscha ist sie hingegen überhaupt keine Besonderheit. Frauen auf dem Bau, das gehört hier zum Alltag. Vor allem in der Hauptstadt Phnom Penh, wo seit Jahren gebaut wird wie verrückt.

In dem 15-Millionen-EinwohnerInnen-Staat zwischen Thailand und Vietnam sind nach einer Studie der Internationalen Arbeitsorganisation ILO mehr als 40 Prozent der BauarbeiterInnen Frauen. Selbst für asiatische Verhältnisse, wo Frauen häufiger harte körperliche Arbeiten verrichten als anderswo, ist das viel. Zum Vergleich: Weltweit sind es gerade einmal ein Prozent.

Klagen über sexuelle Belästigung

Dass Frauen und Männer auf den Baustellen zahlenmäßig fast gleichgestellt sind, bedeutet aber keineswegs, dass dies auch beim Gehalt so ist. Nach Angaben der kambodschanischen Baugewerkschaft BWTUC, die rund 60.000 Frauen und Männer vertritt, verdienen Arbeiterinnen oft nicht einmal die Hälfte des Lohnes ihrer Kollegen.

In Phnom Penh liegt ihr Durchschnittslohn gerade einmal bei umgerechnet etwa 2,70 bis 4,60 Euro – pro Tag. Für eine Stadt, in der immer mehr Luxusgebäude in die Höhe gezogen werden, ist das sehr wenig. Die Immobilienagentur Knight Frank hat jüngst ermittelt, dass inzwischen Quadratmeterpreise von bis zu 3.700 Euro gezahlt werden.

Trotzdem gibt es auf den meisten Baustellen noch nicht einmal getrennte Toiletten. Viele Frauen klagen auch über sexuelle Belästigung durch männliche Kollegen und die Angst, bei einer Schwangerschaft fristlos gekündigt zu werden. Auch bei den mehreren Dutzend Arbeiterinnen, die sich auf Einladung der Gewerkschaft im Erdgeschoß eines Hauses am Stadtrand von Phnom Penh zusammengefunden haben, sind die Sorgen groß.

Niedriglöhne in der Textilindustrie

Eine von ihnen ist Kem Sokhorn. Wie die meisten anderen hört sie zum ersten Mal, dass sie auch nach kambodschanischem Arbeitsrecht gesetzlichen Schutz beanspruchen kann. "Ich höre, was sie sagen: Frauen müssen den Männern gleichgestellt sein. Aber ich glaube nicht, dass das wahr ist", sagt die 43-Jährige. "Wenn ich etwas fordere wie eine Gehaltserhöhung oder bessere Bedingungen, kann ich entlassen werden. Die Bauleiter würden mir dann sagen, dass es 20 andere gibt, die auf meinen Job warten."

Trotzdem kommen jedes Jahr aufs Neue tausende Frauen aus der Provinz, um auf den Baustellen der Hauptstadt zu arbeiten. Für EuropäerInnen klingt ihr Gehalt wie ein Hungerlohn, jedoch liegt er deutlich über dem landesweiten Durchschnittseinkommen von 1,07 Euro pro Tag.

Laut einer Statistik der Vereinten Nationen sind drei Viertel (75,5 Prozent) der Kambodschanerinnen zwischen 15 und 69 Jahren beschäftigt. Hunderttausende arbeiten für Niedriglöhne in der Textilindustrie. Auf dem Land überleben viele mit einer Mischung aus Landwirtschaft für den Eigenbedarf und Gelegenheitsarbeit. In der Stadt lässt sich hingegen mehr verdienen.

Die Bauarbeiterin Ros Thearun klagt ebenfalls darüber, dass sie von ihren Kollegen nicht respektiert werde. Auch sie muss sich die Toilette teilen. "Ich würde gerne meine Rechte einfordern", sagt die 19-Jährige. "Aber ich weiß nicht, ob es funktionieren würde." Thearun ist vergleichsweise jung für die Branche. Die meisten Kolleginnen sind nach einer Studie der Nichtregierungsorganisation Care zwischen 30 und 50 Jahre alt.

Eine Alternative liegt im Westen

Manche Frauen arbeiten auf dem Bau auch zusammen mit ihren Ehemännern. Auf diese Weise lasse sich die Familie besser zusammenhalten, sagt die Care-Expertin Adrianna Siddle. Manche Familien lebten gar auf der Baustelle oder in Notunterkünften in der Nähe. Vor allem älteren Frauen ohne gute Verbindungen in der Hauptstadt falle es schwer, einen Fabrikjob zu finden.

Andererseits würden Frauen ohne Ausbildung am Bau deutlich besser bezahlt als anderswo, weiß Siddle. Einer Erhebung von Care zufolge geben 48 Prozent aller kambodschanischen Bauarbeiterinnen an, dass sie überhaupt nicht lesen oder schreiben können. Weitere 43 Prozent können es nach eigenen Angaben kaum. Bessere Jobs und eine bessere Bezahlung kommen damit für sie in ihrer Heimat gar nicht infrage.

Eine Alternative liegt ein paar hundert Kilometer weiter im Westen – in Thailand, wo höhere Löhne und auch bessere Arbeitsbedingungen locken. Auch Kem Sokhorn denkt darüber nach. Um sich die Reise leisten zu können, müsste sie aber erst einmal sparen. (APA, 25.4.2017)