Roman Kotesovsky (li.) und Andreas Fritsch haben ein arges Döblinger Hotelrestaurant zum "Vorstadtprinzen" aufgemascherlt.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Das hauchdünn knusprige, sardische Pane Carasau bekommt reichlich Parmaschinken, Salami, Büffelmozzarella und Oliven aufgehäuft, alles tadellos.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Dass exorbitante Grundstückspreise kein Garant für gute Gäste sind, lässt sich in Wien-Döbling nachprüfen. Okay, zum Heurigen wird die Kundschaft von weit her angekarrt. Davon abgesehen scheint aber der gastronomische Nimbus des Nobelbezirks nachhaltig verbesserungsresistent zu sein.

Wer es dennoch versucht, holt sich nicht selten eine Abfuhr – mit gepflegter Gastronomie (Hajszan, Martin Stein ...) ebenso wie mit partyfreundlichem Lifestyle (Hungerberg), erst recht mit wagemutigen Bling-Bling-Schuppen wie dem Grinzinger Melrose. Wobei: Mit dem Eckel auf der Sieveringer Straße ist die wohl letzte Bastion authentisch großbürgerlicher Wiener Küche ausgerechnet hier verankert.

Bedarf an gutem Essen in Döbling

Und es gibt das "Ablaufdatum" von Andreas Fritsch und Roman Kotesovsky. Die Quereinsteiger machten vor ein paar Jahren in einem Privathaus ein Pop-up, zogen dann in einen Ex-Chinesen auf der äußeren Sieveringer Straße und zeigen dort, dass selbst Döbling Bedarf an gutem Essen hat – auch und vielleicht gerade in wenig exklusivem Ambiente. Das Ablaufdatum ist mit dezidiert zusammengeschusterter Einrichtung möbliert, die einfach weiß übermalt wurde; ihr neues Projekt beweist sogar expliziten Mut zur Hässlichkeit.

Ähnlich unverkrampft ist auch die Küche: Fritsch und Kotesovsky kochen mit Verve, bedienen sich ungeniert bei mediterranen Traditionen und transportieren gleichzeitig ein sehr mitteleuropäisches Lebensgefühl: große Portionen, maßvolle Preise, durchaus schamloses Heranschmeißen an den breiten Publikumsgeschmack, der sich in einer fallweisen Skrupellosigkeit im Umgang mit Trüffelöl, Balsamico-Essig und ähnlich fragwürdigen Hervorbringungen der italienischen Exportindustrie niederschlägt.

Der Erfolg hat dazu geführt, dass sich das Duo seit ein paar Wochen auf zwei Standorte aufteilen muss. Kotesovsky kocht wie gehabt im Ablaufdatum, Andreas Fritsch hat den Vorstadtprinzen über. Dabei handelt es sich um das vormalige Hotelrestaurant des Kaiser Franz Josef, eines in 1980er-Barock gehaltenen, offenbar das Marriott imitierenden Appartement-Hotels am Beginn der Sieveringer Straße. Das abenteuerlich hässliche Interieur haben Fritsch und Kotesovsky nur marginal verändert. In ein paar Jahren kann ihm vielleicht nostalgischer Charme attestiert werden, einstweilen wirken die bordeauxroten Raulederbankerln, die Schleifglaslamperln und der zwischen Jugendstilanmutung und Brachialrustikalität schwankende Naturholzverbau des schlauchigen Restaurants noch eher grotesk.

Hauchdünn halblustig

Dafür macht das Essen Freude, so man die halblustigen Speisenbezeichnungen in der Karte ausblendet. Pimientos de Padrón, iberische Grillpaprikas, werden puristisch gebraten und sind von bittersüßer Köstlichkeit. Das hauchdünn knusprige, sardische Pane Carasau bekommt reichlich Parmaschinken, Salami, Büffelmozzarella und Oliven aufgehäuft (siehe Bild), alles tadellos.

Ceviche von Wildgarnelen und Calamari ist etwas unglücklich unter einer Fuhre roter Paprikawürfel begraben – wer die wegschaufelt, darf sich aber über eine großzügige Portion frischer, zart wächserner Meeresfrüchte mit Ingwer-Koriander-Dressing freuen. Noch besser: federleicht frittierte Calamari mit scharfer Chorizo und Aioli. Pasta all'uovo mit acht Stunden geschmortem Rinds-Ragù ist von dichter Aromatik, die Pasta bissfest, der Sugo kraftvoll, sehr gut. Es spricht für die zunehmende Entspanntheit der Döblinger Regimenter, dass sie sich vom abenteuerlichen Interieur nicht abschrecken lassen – und sich aufs Essen konzentrieren. (Severin Corti, RONDO, 28.4.2017)