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Viktor Orbán, Regierungschef.

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Heftige Kritik an der Kritik.

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Brüssel/Budapest/Wien – Ungarns nationalkonservativer Ministerpräsident Viktor Orbán gerät innerhalb der Europäischen Union immer mehr unter Druck. Wegen des neuen ungarischen Hochschulgesetzes und der jüngsten Fragebogenaktion mit dem Namen "Stopp Brüssel" eröffnet die EU-Kommission nun Vertragsverletzungsverfahren gegen Budapest. Darüber informierte am Mittwoch Kommissions-Vizepräsident Valdis Dombrovskis.

Das Hochschulgesetz war in die Kritik geraten, weil es nach Ansicht Brüssels – und zahlreicher Orbán-Gegner in Ungarn selbst – die Existenz der Central European University (CEU) bedroht, die von US-Milliardär George Soros gegründet wurde. Es sieht vor, dass ausländische Hochschulen nicht nur in Ungarn, sondern auch im jeweiligen Heimatland, im konkreten Fall also in den USA, einen Sitz haben müssen. Die CEU erfüllt diese Bedingung nicht.

"Stopp Brüssel"

Bei der Anfang April in Ungarn gestarteten Bürgerbefragung "Stopp Brüssel" wiederum bemängeln Kritiker in erster Linie die suggestiven Formulierungen: Unter anderem wird gefragt, was Ungarn tun soll, "wenn Brüssel es zwingen will, illegale Einwanderer ins Land zu lassen – trotz der jüngsten Serie von Terrorangriffen in Europa". EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte in diesem Zusammenhang bereits früher von "Verzerrungen" gesprochen und sich über "die Art und Weise, Schlechtes über Brüssel zu sagen", beschwert. Dombrovskis nahm diese Kritik nun auch in der Begründung für das Vertragsverletzungsverfahren auf: In dem beanstandeten Fragebogen seien "einige Angaben entweder falsch oder irreführend". Der Kommission gehe es jetzt darum, "das zu berichtigen".

Frans Timmermans, der Vizepräsident der EU-Kommission, hat Ungarn indes mit weiteren Schritten gedroht. Bei einer Debatte im EU-Parlament in Brüssel wies Timmermans die Vorwürfe Ungarns gegen die Kommission zurück. Er erwarte innerhalb eines Monats eine Reaktion von Budapest auf die Kritik.

Orbán wehrte sich noch am Nachmittag bei einem Auftritt vor dem Europäischen Parlament in Brüssel persönlich gegen die seiner Ansicht nach "unbegründeten" Vorwürfe. Die CEU werde "unter allen Umständen weiterhin in Betrieb bleiben". Zur Umfrage "Stopp Brüssel" erklärte er, diese sei "ja wohl kein Verbrechen". Gleichzeitig legte Orbán ein Bekenntnis zur EU ab – auch wenn er bei vielen Aspekten Reformbedarf sehe.

Konflikt in EVP-Fraktion

In beiden Fällen – also wegen des Hochschulgesetzes und wegen der Kampagne "Stopp Brüssel" – gehen nun Mahnschreiben nach Budapest. Dabei handelt es sich nur um den ersten Schritt in dem relativ langwierigen Vertragsverletzungsverfahren. Nicht zu verwechseln ist diese relativ häufig angewendete Vorgangsweise übrigens mit dem erst im Jahr 2014 eingeführten Mechanismus zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU. Dieser kann theoretisch bis zum Entzug der Stimmrechte auf europäischer Ebene führen, wurde bisher aber nur im Falle Polens angewendet.

Ungarn liegt auch wegen seiner harten Flüchtlingspolitik und seiner Haltung zu zivilgesellschaftlichen Organisationen, die Geld vom Ausland bekommen, im Clinch mit der EU. Geht es nach den Plänen der Regierung, sollen Letztere sich bald als "vom Ausland unterstützte Organisation" deklarieren müssen, was nach Ansicht von Kritikern einer Diskriminierung gleichkommt.

Othmar Karas, der ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament, hat die Einleitung des Verfahrens gegen Ungarn am Mittwoch begrüßt. Ein "weiterer Skandal" ist für Karas, dass Orbán dem türkischen Präsidenten Tayyip Erdoğan zum Ausgang des umstrittenen Verfassungsreferendums gratuliert hatte. Karas sprach sich dafür aus, die Mitgliedschaft der Orbán-Partei Fidesz in der Europäischen Volkspartei (EVP) ruhend zu stellen. Auch EVP-Fraktionschef Manfred Weber von der deutschen CSU hatte jüngst von "roten Linien" für Orbán gesprochen. Am Samstag will die EVP-Spitze über die Fidesz-Mitgliedschaft beraten. (Gerald Schubert, APA, 26.4.2017)