Bild nicht mehr verfügbar.

Die proeuropäische Einstellung der polnischen Jugend ist einer der Anziehungsfaktoren für ukranische Studierende. Im Bild: Jugendliche auf dem Dachgarten der modernen Bibliothek der Universität Warschau.

Foto: AP/Alik Keplicz

35.584 Ukrainer sind derzeit an polnischen Hochschulen inskribiert. Noch vor drei Jahren waren es lediglich 15.000 – ein Anstieg um mehr als das Doppelte also in nur drei Jahren. Derzeit ist jeder zweite internationale Studierende in Polen aus der Ukraine. Und in Zukunft rechnet "Study in Poland", das Werbeprogramm für polnische Unis im Ausland, mit bis zu 45.000 Studierenden. Warum so viele Ukrainer ihr Land zum Studieren verlassen, dazu hat sich der UniSTANDARD unter jungen Ukrainern in Polen umgehört.

Dmitry Chumak (25) zog 2013 von Kiew in die südpolnische Stadt Opole, um dort seinen Master in Politikwissenschaft zu machen. "Ich bin froh, dass ich gegangen bin, bevor es richtig schlimm wurde", sagt Chumak. Damit meint er weniger den Krieg im Osten, sondern vor allem die schlechte wirtschaftliche Lage: "Wir Jungen möchten nicht so enden wie unsere Eltern und für 100 Euro im Monat arbeiten". Polen ist eine wachsende Wirtschaft, in der das Einkommen um ein Vielfaches höher ist. Nach dem Studium in die Ukraine zurückkehren war bislang keine Option für Chumak.

Polen ist populär

Wie Chumak denken viele junge Ukrainer. Karrierechancen sehen sie in der Ukraine kaum. So auch Nazar Lyko (25), der nach dem Bachelor in Irpin ebenfalls an die Universität Opole zum Master der Internationalen Beziehungen ging. "Klar will ich zurück, aber für meine Entwicklung ist es das Beste, jetzt in Polen zu bleiben", so Lyko.

Gründe, warum gerade Polen unter Ukrainern so populär ist, gebe es laut Bianka Siwinska, Geschäftsführerin von "Study in Poland" viele: "Die geografische Nähe, die Ähnlichkeit von Sprache und Kultur und die europäische Einstellung der Jugend machen Polen zum naheliegenden Zielland", sagt Siwinska. Verstärkt würde das durch die schlechten Studienbedingungen in der Ukraine, sagt Klaus Müller, Osteuropaexperte an der Universität für Wissenschaft und Technologie Krakau. Bestechungsgelder stünden auf der Tagesordnung, die Ausstattung sei unbefriedigend und die Studentenwohnheime in schlechtem Zustand. "Wer in der westlichen und zentralen Ukraine über die sprachlichen Voraussetzungen und Qualifikationen verfügt, geht in den Westen", sagt Müller. Der Krieg im Osten gehört kaum zu den Motiven, da er für den Großteil der Ukrainer ein "Problem des ungeliebten Ostens" sei.

Fremdenfeindliche Postings

Anders war das bei Olga Kravchenko, die in Warschau Wirtschaft und Recht studiert. Zuvor hatte sie in der Ukraine studiert, doch kurz nach Studienbeginn gab es ihre Uni nicht mehr: Sie hatte in Luhansk in der umkämpften Donbass-Region studiert. Lehrer und Studenten verließen die Stadt; Kravchenko blieb zurück, ohne zu wissen, wie es weitergehen sollte. Zu ihrem Glück startete in diesem Jahr das von Polen finanzierte "Polish Erasmus for Ukraine", ein Austauschprogramm, das Studierenden aus den Kriegsgebieten ein Auslandsjahr in Polen ermöglichte. "Wenn ich diese Chance nicht bekommen hätte, würde ich heute wahrscheinlich in der Landwirtschaft arbeiten", sagt die 23-Jährige. Heute liebt sie Polen, für den Master zu bleiben war selbstverständlich.

Die große ukrainische Community wird aber nicht von allen Polen als Gewinn gesehen. "In einigen Institutionen dominieren die ukrainischen Studierenden die Community", sagt Siwinska. Das führt zu Abwehrreaktionen, auf Facebook würden Slogans wie "Stoppt die Ukrainisierung an der Opole Universität" kursieren, auf der Website von "Study in Poland" posteten Hacker ein Bild, auf dem Weltkriegsgräuel ukrainischer Soldaten an der polnischen Bevölkerung zu sehen waren. Auch Vorfälle von verbaler und physischer Gewalt würden regelmäßig auftreten, sagt Siwinska.

Chumak, Lyko und Kravchenko haben keine derartigen Vorfälle erlebt. Laut Müller läge Polen viel daran, die guten Kontakte mit der Ukraine zu halten. Eine Intensivierung des akademischen Austauschs sei da nur willkommen. (Tobias Mayr, 27.4.2017)