Theresa May muss die Opposition nicht fürchten, diese gilt bei der Unterhauswahl als chancenlos. In Gefahr sehen Fachleute hingegen die Konjunktur, sie dürfte vom Brexit hart getroffen werden.

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Schon den neuesten Witz gehört? Wie vor Neuwahlen üblich hat sich der Oppositionsführer kürzlich mit Großbritanniens höchstem Beamten getroffen. Dabei ging es um das Prozedere des möglichen Regierungswechsels nach der Parlamentswahl am 8. Juni. Man werde Labours Wahlprogramm "sorgfältig studieren", teilte ein Sprecher von Kabinettssekretär Jeremy Heywood mit und verzog dabei keine Miene.

Wenig Unterstützung für die Arbeiterpartei

Dabei wissen auf der Insel nicht nur Komiker: Ein Sieg der größten Oppositionspartei unter ihrem Vorsitzenden Jeremy Corbyn ist ungefähr so wahrscheinlich wie die Trockenlegung des englischen Kanals. Am Mittwoch, sechs Wochen vor dem Wahltermin, bestätigten zwei neue Umfragen den Trend der vergangenen Monate. Während die Konservativen unter Premierministerin Theresa May mit 48 und 49 Prozent knapp unterhalb der absoluten Mehrheit der Stimmen liegen, wollen derzeit wenig mehr als ein Viertel der Briten (26 und 27 Prozent) ihr Kreuz bei Labour machen. Erfahrungsgemäß, weist Ben Page vom Meinungsforscher Ipsos-Mori hin, gebe die Unterstützung für die Arbeiterpartei im Lauf einer Kampagne noch nach. "May könnte den Konservativen einen Sieg bescheren wie Labour mit Tony Blair 1997" – damals gingen 418 von 650 Mandaten im Unterhaus an die siegreiche Partei.

May hat die unnötige Neuwahl damit begründet, sie wolle ihre "Position für die Brexit-Verhandlungen stärken". Experten wie Professor Simon Hix von der London School of Economics (LSE) weisen hingegen auf die Wirtschaftsprognosen als wichtigere Motivation hin: Die steigende Inflation von zuletzt 2,3 Prozent dürfte das bisher robuste Wachstum bald bremsen, zumal immer mehr Firmen Investitionsentscheidungen verschieben oder, wie jetzt der Schweizer Konzern Nestlé, auf der Insel Arbeitsplätze abbauen. Wegen des Brexits, hat Hix' LSE-Kollegin Swati Dhingra errechnet, werde das britische Wachstum in den kommenden Jahren zwischen drei und acht Prozent niedriger ausfallen als bei Mitgliedschaft im Brüsseler Club.

Station im Unterhaus

Doch auch in der Wirtschaftskompetenz geben alle Umfragen den Tories einen haushohen Vorsprung. Wie Gespenster ziehen May und Corbyn seit einer Woche durchs Land und versuchen dem Wahlvolk einzureden, es gebe tatsächlich die Möglichkeit einer anderen als der bisherigen Tory-Regierung. Am Mittwoch machte die Karawane im Unterhaus Station. Zum letzten Mal vor der Auflösung des Parlaments maßen sich die Regierungschefin, 60, und ihr Herausforderer, 67, in der Fragestunde an die Premierministerin. Corbyn machte sich lustig über Mays Weigerung, an TV-Debatten teilzunehmen, und konfrontierte sein Gegenüber mit Bürgerfragen: Warum steckt das Nationale Gesundheitssystem (NHS) in der Krise? Wie sollen die öffentlichen Schulen immer neue Kürzungen verkraften? Warum finden junge Menschen keine Wohnungen und bangen alte Leute um ihre Renten?

Mit eiserner Disziplin wischte May alle kontroversen Themen beiseite, schlug stattdessen Corbyn, den Parlamentariern und dem zuschauenden Publikum ihre Wahlslogans um die Ohren. Bei der Wahl gehe es um ihre "starke und stabile Führung", teilte die Premierministerin zehnmal mit. Die Alternative dazu sei eine "Koalition des Chaos" (viermal) unter dem seiner Aufgabe nicht gewachsenen (zweimal) Corbyn. Während konservative Hinterbänkler brav die Slogans der Chefin nachplapperten, mochte kein Einziger der Labour-Abgeordneten die Qualitäten ihres Chefs als möglicher Premierminister rühmen.

Unpopulärer Vorsitzender

Ohnehin reden die Kandidaten der Oppositionspartei über alles Mögliche, nur nicht über die Unpopularität ihres Vorsitzenden. Das dürfte ihnen bei der Kommunalwahl in einer Woche ebenso wenig nützen wie beim Urnengang im Juni. "Hunderte von Mandaten" werde Labour verlieren, sagen Professoren wie Colin Rallings und Michael Thrasher von der Uni Plymouth voraus.

Die Mehrheit in einstigen Bastionen wie Glasgow und Cardiff droht ebenso verlorenzugehen wie die erstmals durchgeführte Bürgermeisterwahl in Birmingham. Der Kandidat als Stadtoberhaupt von Manchester, Ex-Kabinettsmitglied Andrew Burnham, bestreitet seine Kampagne "eigentlich als Unabhängiger", hat LSE-Professor Tony Travers beobachtet. Unterdessen streiten die Proeuropäer über die beste Methode, um Mays geplanten Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion (harter Brexit) abzumildern. Prominente Tory-Kritiker der Parteivorsitzenden traten jetzt aus der Dachorganisation Open Britain aus, weil diese zur Abwahl konservativer EU-Feinde aufruft – am Ende ist die Parteiloyalität doch größer als die Besorgnis wegen des Brexits. (Sebastian Borger aus London, 26.4.2017)