Das Gebot der Überparteilichkeit ist Achillesferse – und Stärke der politischen Bildung.

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Politische Bildung in Österreich ist eine Einrichtung wie die freiwillige Feuerwehr. Wenn es brennt, ruft man nach ihr. Kommt es zu einem Anstieg rechtsextremer Gewalttaten oder werden alarmierende Studien wie vom Sora-Institut oder dem Zentrum für Politische Bildung in Bezug auf autoritäre und demokratiefeindliche Haltungen veröffentlicht, dann erlangt das fächerübergreifende Unterrichtsprinzip eine gewisse Aufmerksamkeit. Kurz darauf überlässt man die politische Bildung wieder ihrer Existenz als Appendix des Geschichtsunterrichts.

Neuerdings jedoch kommt Unruhe in die Bildungslandschaft, denn Lehrer und Vortragende geraten wiederholt in den Verdacht, das Prinzip der Überparteilichkeit zu verletzen und die Inhalte politischer Bildung parteipolitisch zu missbrauchen. Worum geht es?

Sich mit den Themen Asyl, Integration, Islam, Europäische Union und Minderheiten im Unterricht auseinanderzusetzen und somit auch die im Umfeld rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien vertretenen Haltungen zu diskutieren ist eine der wesentlichen Aufgaben politischer Bildung. Hier im Allgemeinen zu bleiben, anstatt die durchaus auch von Schülern vertretenen problematischen Haltungen auch in Bezug auf die Realpolitik der Neuen Rechten zu decodieren, wäre falsch verstandene "Überparteilichkeit". Diese bedeutet im Grunde eine kritische Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Denkweisen, ohne den Schülern parteipolitische Überzeugungen aufzuzwingen. Das Gebot der Überparteilichkeit ist daher die Achillesferse und zugleich die Stärke der politischen Bildung und ist letztlich eine Frage des Vertrauens zwischen Schüler und Lehrer, ohne das jegliche Bildung nicht gelingen kann.

Mut der Lehrenden gefordert

Die verbale Radikalisierung rechter Parteien, die Hetze gegen Minderheiten, Muslime oder Flüchtlinge zwingt engagierte politische Bildung allerdings zunehmend dazu, deren Urheber zu benennen und diese in einen historischen Kontext zu stellen. In einem scheinbar partei(en)freien Raum unterrichten zu wollen ist unmöglich, zumal die Schüler sehr wohl wissen, um welche Partei es sich handelt, wenn sie deren Parolen und Sprüche nachsagen. Es erfordert also den Mut der Lehrenden, etwaigen Extremismen und Radikalismen professionell entgegenzutreten und sich nicht zu scheuen, die Grundwerte und Menschenrechte als unverhandelbar zu vermitteln.

Wesentlich dabei ist, unterschiedliche Denkansätze und politische Meinungen zunächst kontrovers darzustellen, dann aber klare Grenzen zu menschenfeindlichen Positionen zu ziehen. Gelingt dies ohne Überwältigung, und darum bemühen sich Lehrer und Vortragende, so verlässt niemand den Unterricht mit Tränen in den Augen, wie unlängst von der FPÖ Oberösterreich beklagt. Dass Betroffenheit durch Belehrung über demokratische Werte Teil des Lernprozesses ist, lässt sich jedoch nicht vermeiden, und auch nicht, dass dissonante Lernerfahrungen im Elternhaus erzählt werden. Diese Erfahrung machen auch türkische Jugendliche, die sich in der Klasse für Recep Tayyip Erdoğan oder die Todesstrafe aussprechen. Hier kann und muss politische Bildung eine deutliche Sprache finden, Orientierung geben.

Methoden der Repression

Die schon lange gegenüber Journalisten und Intellektuellen bekannte Vorgehensweise mit Methoden der Repression, Forderungen nach Arbeitsverbot, Entlassung oder Anzeige, trifft nun auch Lehrer und Vortragende der politischen Bildung. Auch die Einrichtung einer "anonymen" Meldestelle verfolgt das Ziel, politische Bildner einzuschüchtern und sie dabei zu behindern, aktuelle demokratiegefährdende, rassistische oder schlicht xenophobe Tendenzen aufzuzeigen.

Der Wissenserwerb über historisch erkämpfte Positionen wie Schutz von Minderheiten, Emanzipation, soziale Rechte, Religionsfreiheit oder Meinungsfreiheit ist und bleibt jedoch dezidiertes Lernziel des Faches, zumal sich am Beispiel anderer Länder zeigt, wie schnell es zu dramatischen Verlusten an demokratischem Boden und der Verfolgung von Minderheiten kommen kann.

Rücken freihalten

Versteht man politische Bildung als Fortsetzung historischen Lernens durch Wachsamkeit dem Zeitgeschehen gegenüber, wird die große Verantwortung der Bildungseinrichtungen im Hinblick auf den gewaltigen Rechtsruck der europäischen Gesellschaften deutlich. Doch es bedarf nicht nur des Selbstbewusstseins und des Muts der Lehrer oder externer Vortragender, entscheidend ist auch die Unterstützung durch das Bildungsministerium, die Landesschulräte und letztlich die Schulbetreiber und Direktoren. Es liegt an den Institutionen, die Pädagogen in ihrer freien Berufsausübung zu stärken, sie vor Verunglimpfung zu schützen und ihnen durch eine klare Absage an parteipolitische Einschüchterungsversuche den Rücken freizuhalten. Parteien, deren Spektrum weit in die rechtsextreme Szene reicht, müssen Gegenstand der politischen Bildung sein dürfen, sonst würde diese ihren Sinn verlieren. (Marion Wisinger, 3.5.2017)