Die Schnapsroute verläuft bretteleben durchs Inntal.

Foto: Innsbruck Tourismus/www.anibaltrejo.com

Man käme rasch voran ...

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... würde man sich nicht bei den vielen Brennern fortbilden.

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Sie machen sich als Pilger auf den Weg und kommen in der Mitte der Gesellschaft an: Überall in Europa gibt es Pilgerwege, die längst nicht nur aus religiösen Motiven in Angriff genommen werden. Doch ausschließlich in Tirol erleben Pilger ihr blaues Wunder. Der Jakobsweg ist dort identisch mit der Schnapsroute.

Etappe 8, irgendwo zwischen Innsbruck und Telfs: Der Magen knurrt, Schilder entlang des Weges versprechen Speckknödel und Schlutzkrapfen. Der Service im Gasthaus ist schnell, die Portionen so groß, dass sie jeden Wanderer in die Knie zwingen. Gut, dass die Route im Anschluss bei Hubert Draxl vorbeiführt.

Putins Lieblings-Schnaps

Der Kupferkessel im Hofladen von Draxl summt eine leise Melodie. Er atmet aus: Hochprozentiges, das in einen Edelstahlbehälter rinnt. Als erstes schenkt Draxl Meisterwurz ein. "Der hilft gegen jedes Leiden. Egal, ob der Magen spannt oder die Beine schmerzen." Bald muss man die Hand aufs Glas legen, denn Draxl gießt ungebremst nach. "Vogelbeere ist aber Pflicht!", sagt er und fügt hinzu: "Putins Lieblings-Schnaps."

Der russische Staatschef hat einmal mitten in der Nacht eine Limousine von seinem Urlaubsort St. Anton zu Draxls Hof nach Inzing geschickt, weil er mit seinen Leuten alle Flaschen geleert hatte. Bilder an der Wand belegen Putins Vorliebe. Solche Geschichten bringen Laufkundschaft – auch eine, die mit Rucksack und Wanderschuhen kommt, um sich geistreich auf den nächsten Streckenabschnitt vorzubereiten. Der führt manchmal nur ins nächste Dorf, denn die Versuchung ist groß.

In jedem Keller ein Kessel

Nach offiziellen Angaben gibt es mehr als 4.000 Brennereien in Tirol. Hunderte liegen direkt an der Schnapsroute, wenngleich darunter viele Bauern sind, die nur einen Kessel im Keller haben und das Obst rund ums Haus verflüssigen. Das Recht dazu bekamen sie von Erzherzogin Maria Theresia im 18. Jahrhundert. Es hat bis heute Gültigkeit.

Die meisten Brenner zeigen Pilgern gerne, wie Schnapsln heute geht. Glas bis zum Rand füllen, in einem Zug leeren und das Gesicht verziehen, ist passé. Heute trifft man sich an großen Holztischen, wie jenem von Günther Thaler in Rietz mit 2.100 Einwohnern und mehr als 20 Brennern. Er ist Edelbrand-Sommelier, reicht würzigen Hartkäse zu Sorten wie Williamsbirne und Schokolade zu Zigarrenbränden. Und er lässt die Gäste nicht aus seinen 35 Sorten wählen, sondern ermittelt deren geschmackliche Vorlieben für den richtigen Tropfen. Dann kommt das Ritual, das an Weinverkostungen erinnert. Thaler schwenkt das bauchige Glas mit hohem Kamin und erklärt, dass ein guter Brand eine Struktur hinterlässt: "Wie bei einem alten Kirchenfenster."

Wegsuche nach fünf Bränden

Nach fünf Bränden muss man sich an die frische Luft retten und nach dem weiteren Weg suchen. So werden aus einer Tagesetappe schnell zwei. Dabei verläuft die Schnapsroute mit ihren 41 Betrieben auf einfachen Wegen durchs Inntal. Es gibt kaum Steigungen, außer man plant Abstecher ins Pitztal oder Ötztal, wo ebenfalls die Kupferkessel summen. Wer die komplette Tour bewältigen will, muss mehr als eine Woche einplanen, die meisten picken sich daher Tagesetappen mit 20 bis 30 Kilometern raus. Planen muss man die Route selbst und kann sich dafür das Schnapsrouten-Buch zulegen, in dem die Brenner portraitiert sind. So findet man auch Typen wie Friedl Mair in Flaurling, der stets auf der Jagd nach besonderen Tropfen ist.

Karotten hat Mair schon ausprobiert, auch roten Holunder, für den viel Körpereinsatz nötig ist, weil er nicht in Talnähe wächst und bis zu acht Meter hoch wird. "Mittlerweile lasse ich die jungen Burschen für mich raufklettern", sagt Mair. Für seine Beeren-Cuveé klaubt er die kleinen Früchte aber noch selbst von den Sträuchern. "Erst wenn man diese Arbeit einmal gemacht hat, weiß man einen Edelbrand wirklich zu schätzen."

Ein Fläschchen für unterwegs

Aber Mair gelingt auch nicht alles, was er durch den Kupferkessel jagt. Bananen waren ein ziemlicher Reinfall und sind nie flüssig in die Flasche gekommen. Solche Experimente tun weh, weil er nur eine Lizenz für 300 Liter reinen Alkohol pro Jahr besitzt. Diesen verdünnt er, sodass rund 750 Liter Edelbrand herauskommen. Das kalkarme Wasser dafür holt er vom Kloster Maria Waldrast.

Zu diesem Wallfahrtsort führt allerdings ein anderer Pilgerweg. Und wer die Schnapsroute verlässt, sollte zumindest ein Fläschchen für unterwegs einpacken. (Christian Schreiber, 5.5.2017)