Leipzig/Wien – Das Knöchelchen war nicht viel größer als der Nagel eines kleinen Fingers. Und doch führte es im Jahr 2010 zu einer der sensationellsten Entdeckungen in der Paläoanthropologie der letzten Jahrzehnte. Das Fingerknochenfragment, das in einer südsibirischen Höhle gefunden worden war, enthielt nämlich DNA einer bis dahin völlig unbekannten Menschenart, berichteten damals Forscher um den Paläogenetikpionier Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut (MPI) für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.
Mit der erstmaligen Beschreibung des Denisova-Menschen, der bis vor 40.000 Jahren lebte und eine Art Cousin des Neandertalers war, ging auch so etwas wie ein methodischer Paradigmenwechsel in der Vormenschenforschung einher: Denn die folgenreiche Entdeckung wurde erstmals bloß mithilfe von Analysen der uralten DNA gemacht. Nur auf Basis der Anatomie des Knochens wäre diese Entdeckung niemals gelungen.
Bodenproben statt Skelettreste
Dieses "Entknochen" der Urmenschenforschung, die sich damals bereits abzeichnete, hat nun eine neue Dimension erreicht – und wieder sind Forscher des MPI in Leipzig federführend daran beteiligt: Es gelang ihnen nämlich, aus Bodenproben von sieben archäologisch bedeutsamen Höhlen winzige DNA-Fragmente verschiedener Säugetierarten, Neandertaler und sogar Denisova-Menschen zu "fischen".
Konkret fanden sie in Höhlensedimenten aus vier Fundstätten Neandertaler-DNA – und das sogar in Sedimenten, in denen keine Knochenfunde gemacht wurden. Zusätzlich entdeckten sie in Ablagerungen aus der Denisova-Höhle in Russland Erbgut vom Denisova-Menschen.
Bis zu 550.000 Jahre alte Sedimente
Das Team um Matthias Meyer und Viviane Slon (ebenfalls MPI in Leipzig) wusste bereits vor der neuen Untersuchung, dass einige Bestandteile von Sedimenten DNA binden können. Um Proben aufs Exempel zu machen, kooperierten die Forscher mit einem Netzwerk von Archäologen, die in sieben Höhlen in Belgien, Frankreich, Kroatien, Russland und Spanien Ausgrabungsarbeiten betreiben. Die von ihnen gesammelten Sedimentproben waren zwischen 14.000 und mehr als 550.000 Jahre alt.
Das aus dem Sedimentmaterial gewonnene Erbgut konnten sie im ersten Schritt zwölf verschiedenen Säugetierfamilien zuordnen, darunter auch ausgestorbenen Arten wie dem Wollhaarmammut, dem Wollnashorn, dem Höhlenbär und der Höhlenhyäne. Im zweiten Schritt suchten die Forscher in den Proben ganz gezielt nach Urmenschen-DNA. Und obwohl sie befürchteten, dass die meisten Proben das Erbgut zu vieler anderer Säugetierarten enthielten, um darin Spuren menschlicher DNA zu entdecken, wurden sie abermals fündig.
Künftige Routineanalysen
"Anhand von DNA-Spuren im Sediment können wir nun an Fundorten die Anwesenheit von Urmenschen nachweisen, wo dies mit anderen Methoden nicht möglich ist", resümierte Svante Pääbo, Co-Autor der Studie, die im Fachblatt "Science" erschien: "Die DNA-Analyse von Sedimenten ist also eine äußerst nützliche archäologische Untersuchung, die zukünftig routinemäßig durchgeführt werden könnte." (tasch, 28.4.2017)