Ein Handshake zum Abschied, Thiem mit dem Lächeln.

Foto: APA/AFP/JOSEP LAGO

Ein Meilenstein in der Karriere des Dominic Thiem.

Foto: APA/AP/Fernandez

Mit seinen Schlägen von der Grundlinie trieb Dominic Thiem an die Grenzen und darüber hinaus.

Foto: imago/Agencia EFE

Barcelona – Zugetraut worden ist es Dominic Thiem schon, doch der 23-jährige Niederösterreicher hat es am Samstag im dritten Duell mit dem Weltranglisten-Ersten Andy Murray tatsächlich geschafft. Thiem feierte im Halbfinale des mit 2,373 Mio. Dollar dotierten ATP-500-Turniers einen seiner größten Erfolge und rang Murray nach 2:13 Stunden mit 6:2,3:6,6:4 nieder.

Thiem qualifizierte sich damit für sein insgesamt zwölftes Finale auf der Tour und spielt am Sonntag (16.00 Uhr/live Sky) gegen Sandplatz-König Rafael Nadal (6:3,6:4-Sieg gegen den Argentinier Horacio Zeballos) um seinen neunten ATP-Titel. Der Weltranglisten-Neunte ist erst der dritte Österreicher nach Thomas Muster (1998 gegen Pete Sampras) und Jürgen Melzer (2010 gegen Rafael Nadal) dem es gelungen ist, eine regierende Nummer eins der Tennis-Welt zu schlagen.

Thiem wandelt auch in Barcelona in den Fußstapfen des großen Thomas Muster, denn der 44-fache Turniersieger und ehemals Weltranglisten-Erste hat 1995 und 1996 in Barcelona triumphiert. Mit dem Finaleinzug hat der Schützling von Günter Bresnik 300 ATP-Zähler sowie ein Preisgeld von brutto 227.585 Dollar (208.220,49 Euro) sicher.

Thiem gelang in einem immer besser werdenden, mitreißenden Match ein Auftakt nach Maß. Der Lichtenwörther nahm dem Weltranglisten-Ersten gleich im Auftaktgame den Aufschlag ab und stellte auf 2:0 bzw. nach einem weiteren Break sogar auf 4:1. Zwar gelang Murray ein Rebreak zum 2:4, der Schotte musste sein Service aber neuerlich zum 2:5 abgeben. Thiem verwertete in der Folge seinen dritten Satzball nach rund 34 Minuten zum 6:2. Der Stuhlschiedsrichter wollte den Ball eigentlich wiederholen lassen, aber Murray gestand sehr sportlich Thiem den Punkt zu.

Erster Satzverlust im Turnier

Das Niveau des Spiels nahm im zweiten Satz deutlich zu, Murray steigerte sich wie auch in den Vorrunden mit zunehmender Dauer des Matches. Thiem ließ zunächst im ersten Game und dann bei 3:3 jeweils eine Chance zum Break aus, und musste dann im achten Game seinen Aufschlag zum 3:5 abgeben. Murray servierte zum Satzgleichstand aus, Thiems erster Satzverlust im Turnierverlauf.

Der entscheidende Durchgang begann mit Break und Rebreak für Murray bzw. Thiem, der im vierten Game zwei weitere Breakbälle vorfand. Erst zum 4:2 gelang es Thiem, dem 45-fachen Turniersieger Murray den Aufschlag abzunehmen. Aber der Schotte bewies Kampfgeist und nahm wiederum dem Niederösterreicher den Aufschlag ab. Thiem schlug in dieser Phase einige besonders imposante Winner, mehrmals auch von seiner bilderbuchhaften Rückhand entlang der Linie.

Thiem: "So einen Sieg kann man nicht erwarten"

Murray konnte da nur noch lächeln, am Ende hatte Thiem aber den breiten Grinser im Gesicht. Er nützte gleich seinen ersten Matchball zum vielleicht größten Triumph seiner Karriere. 41 Winner (bei 34 unerzwungenen Fehlern) zeugen von Thiems Performance, Murray machte im Vergleich nur 19 Winner (30 unerzwungene).

Thiem war nach seinem Triumph besonders damit zufrieden, wie er sich nach der Schwächephase von Mitte des zweiten Satzes bis nach dem ersten Game des dritten mental gefangen hat. "Bei 0:1 war ich schon ziemlich bedient, muss ich sagen, aber ich bin mental sehr gut zurückgekommen. Ich habe dann richtig gut gespielt und gleich das Rebreak gemacht. Dann war eh alles offen."

Thiem profitierte vom verpatzten Start des Schotten wie er auch selbst zugab: "Man muss ehrlich sagen, dass er wirklich schwach begonnen hat. Da habe ich jetzt nicht wirklich viel dazu machen müssen. Mitte zweiter Satz ist es ein wirklich offenes Match bis zum Ende geworden", stellte der Weltranglisten-Neunte fest. "Heute habe ich das glücklichere Ende gehabt, aber natürlich kann man so einen Sieg nicht erwarten. Trotzdem bin ich mittlerweile in einer Situation, in der ich jetzt gegen keinen Gegner mehr reingehe und sage, 'ja ich will ein paar Games holen', sondern gehe in jedes Match und will es gewinnen."

Gegen Nadal "am Drücker sein"

"Das war ein großer Schritt vorwärts heute." Schon bald lag der Fokus aber auf seinem zwölften Endspiel auf der ATP-Tour, das Thiem sein viertes Duell mit Rafael Nadal bringen wird. "Murray und er sind zwei komplett andere Spielertypen. Das Tempo der Schläge und die Aggressivität war echt okay heute, das muss ich auf jeden Fall wieder machen. Ich muss schauen, dass ich derjenige bin, der am Drücker ist, was eh schwer genug ist gegen ihn", meinte Thiem.

Denn sobald Nadal in den Ballwechseln das Kommando übernimmt, wird es schwierig. "Dann kommt man dann nicht mehr aus seinen Klauen raus", bestätigte er. "Ich darf mich nicht zu sehr in die Defensive drängen lassen."

Thiem freute sich auf das Duell mit Nadal, den er 2016 in Buenos Aires auf Sand mit 7:6 im dritten Satz bezwungen hat. "Er ist ein anderer Spieler als damals und sieht auf dem Court auch anders aus", sieht Thiem beim neunfachen French-Open-Sieger, seit kurzem zehnfachen Monte-Carlo-Champion und auch in Barcelona auf seinen 10. Titel losgehenden Nadal eine klare Steigerung. Nadal habe "gemeinsam mit Jack Sock den schlimmsten Spin auf seiner Vorhand".

Bresnik nicht voll zufrieden

Thiem-Coach Günter Bresnik hat das Spiel zu Hause vor dem Fernseher geschaut. Mit großer Freude, aber natürlich auch mit dem kritischen Auge, das noch so viel mehr Potenzial für den Weltranglisten-Neunten sieht.

"Es ist für Dominic natürlich schon seit ewiger Zeit ein wichtiges Kapitel in seiner Laufbahn, dass er einmal die Nummer eins schlägt. Diese Gelegenheit hat er ja noch nicht oft gehabt", erklärte Bresnik. Im fünften Match gegen eine aktuelle Nummer 1, schlug Thiem zu. Trotz Weltklasse-Phasen war Bresnik freilich nicht vollends zufrieden. "Es war teilweise super, aber nicht überragend. Aber er hat einfach die besten Schläge."

Ferrari noch ohne Vollgas

Niemand schlage in der Kombination die Vorhand, die Rückhand und den Aufschlag so schnell. "Das war heuer das beste Spiel, aber er war weit unter seinen Möglichkeiten. Die kommen alle mit seinem Tempo nicht zurecht. Aber Thiem setze dies noch nicht genügend ein. "Wenn er lernt, das durchzuspielen, dann ist er ein Großer."

Angetan zeigte sich Bresnik von der am Samstag großteils gezeigten Aggressivität der Schläge, aber auch von der mentalen Komponente. Vor allem als Thiem von 3:3 im zweiten Satz weg vier Games en suite verlor und damit auch mit einem Serviceverlust in den dritten Satz startete. "Wie er das Rebreak gemacht hat, das war Weltklasse. Da spielt er das ganze Game perfekt, nicht nur punktemäßig."

Und die 41 Winner, die Thiem geschlagen hat, freuten den seit 21. April 56-jährigen Niederösterreicher besonders. "Die Qualität eines Spielers zeigt sich an der Anzahl der Winner, die er schlagen kann. Da ist er ganz, ganz vorne dabei." Da spiele es gar keine Rolle, wie viele unerzwungene Fehler dabei sind. "Er ist ein kompletter Spieler und hat noch viele Möglichkeiten, sich zu verbessern, oder besser einzusetzen, was er hat. Er kommt mir manchmal vor, wie wenn er einen 700 PS Ferrari fährt, und nicht in den zweiten Gang schaltet."

Bresnik wiederholte frühere Aussagen und sieht sich freilich mit dem Sieg über Murray auch bestätigt. "Er kann jeden Spieler auf der Welt jederzeit auf jeden Belag schlagen kann. Das ist ein Fakt, auch wenn mich viele für deppert erklärt haben oder es immer noch tun."

Im ATP-Ranking bringt Thiem nur ein Finalsieg eine Verbesserung um einen Platz auf Position acht, im Race 2017 ist er schon jetzt Vierter und könnte Stan Wawrinka auch noch überholen. Der Siegerscheck, der am Sonntag vergeben wird, ist auf eine Summe von 464.260 Dollar brutto (424.757,55 Euro) ausgestellt. Thiem hat übrigens erst vor kurzem die Sechs-Millionen-Dollar-Preisgeldmarke (ebenfalls vor Abzug von Steuern) durchbrochen. (APA, 29.4.2017)