Washington/Wien –US-Präsident Donald Trump schwänzte den traditionellen Pflichttermin von US-Präsidenten, die sich seit Jahrzehnten nach 100 Tagen Amtszeit beim Dinner der Korrespondenten im Weißen Haus von einem Comedian zerlegen lassen und, nach ihren Möglichkeiten, auch eine selbstironische Rede halten.

Der Führer in Moskau

"Der Führer unseres Landes ist nicht hier", konstatierte am Samstag also in Abwesenheit des Präsidenten Hasan Minhaj, Senior Correspondent der Comedy-Central-Satire "The Daily Show". "Und das liegt daran, dass er in Moskau wohnt, das ist sein sehr langer Flug, und das hat er an einem Samstag nicht geschafft." Und: "Der andere Typ ist in Pennsylvania – weil er keine Scherze aushält."

Comedian Hasan Minhaj beim White House Correspondents' Dinner über Trump und Medien.
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Nicht allein Scherze verpasste Donald Trump beim White House Correspondents Dinner. Die Reporterlegenden Carl Bernstein und Bob Woodward kosteten in den 1970ern mit ihren Recherchen über seine Wahlkampfmethoden dem konservativen Präsidenten Richard Nixon das Amt. Beim Dinner der Korrespondenten erinnerten sie ihre Kollegen an die Aufgaben von Journalismus – und worum es dabei geht.

"Wenn sich das Amtsgeheimnis mit der Lüge zusammentut"

Was Bernstein über Nixon sagt, klingt durchaus heutig: "Nixon hat sich viel mit dem Verhalten der Presse beschäftigt – anstatt sich mit dem Verhalten des US-Präsidenten und seiner Leute zu befassen. Wir haben versucht, diese Begleitmusik zu ignorieren und unsere Arbeit, unsere Recherchen sprechen zu lassen."

Wie haben Woodward und Bernstein damals gearbeitet und was haben sie – auch voneinander – gelernt? "Was eine Regierung ohne Grund geheimhalten will, muss unseren Verdacht wecken. Und wenn sich das Amtsgeheimnis mit der Lüge zusammentut, dann zeigt das uns Journalisten klar, was wir zu tun haben", sagt Bernstein. Natürlich gelte das alte Rechercheprinzip: Mach dich auf die Spur des Geldes. Aber: "Mach dich ebenso auf die Spur der Lügen."

"Die beste verfügbare Version der Wahrheit": die Watergate-Aufdecker Bob Woodward (li.) und Carl Bernstein beim White House Correspondent's Dinner über Journalismus, Recherche – und US-Präsidenten.
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"Die beste verfügbare Version der Wahrheit"

Quellen sind Menschen, denen Journalisten zuhören müssen, sagt Bernstein. Die sie nicht nach ihrer Ideologie, ihrem politischen Lager vorbeurteilen und in eine Schublade stecken dürften: "Fast alle Menschen, mit denen wir bei Watergate zu tun hatten, hatten die eine oder andere Verbindung zu Nixon und seiner Präsidentschaft." Quellen seien zudem wieder und wieder zu befragen: "Die beste verfügbare Version der Wahrheit liegt im Kontext, nicht ein einfachen Fakten".

"Die beste verfügbare Version der Wahrheit ist unser Job. Besonders jetzt", sagt Bernstein beim White House Correspondents Dinner. An sich sei die beste verfügbare Version der Wahrheit "ein simples Konzept" – aber äußerst schwierig zu erreichen. Dazu brauche es Denkarbeit, Hartnäckigkeit, ideologisches Gepäck sei zurückzulassen und Rückschläge zu überwinden, auch Glück und, nicht zu vergessen, geradezu übermenschliche Demut.

Bernstein in Wien

Watergate-Legende Bernstein wird diesen Donnerstag beim österreichischen Journalismus-Tag sprechen. "Der Wert der Wahrheit" ist heuer das Generalthema, und Bernstein wird sich wohl auch in Wien der bestmöglichen Version davon widmen.

Unvoreingenommen sollte man sich zudem auf dem Weg Richtung Wahrheit machen, sagt Bernstein: "In einem halben Jahrhundert als Reporter bin ich bei keiner wichtigen Story dort angekommen, womit ich am Anfang der Recherche gerechnet habe." Und: "Du kennst die Geschichte nicht, bevor du nicht erschöpfend recherchiert hast, wieder und wieder deine Quellen befragt hast, und dich selbst, was noch fehlt, welche Details, welche Erklärungen. Unsere Vorstellung, was die Story ist, reicht nicht."

"The Media is not Fake News"

Woodward adressierte den abwesenden Trump direkt: "Mr. President, the Media is not Fake News." Natürlich machten die Medien Fehler und natürlich gingen sie zu weit. Das müssten sie offen eingestehen. Aber in den allermeisten Fällen handelten sie in guter Absicht und versuchten "die beste verfügbare Version der Wahrheit" herauszufinden. "Und dabei dürfen wir auch nicht lockerlassen."

"Je aggressiver wir nach der Wahrheit suchen, umso mehr Menschen stoßen wir vor den Kopf. Das müssen wir in Kauf nehmen", zitierte Woodward Ben Bradlee, den langjährigen Chefredakteur der "Washington Post", auch zu Zeiten, als das Blatt den Watergate-Skandal aufdeckte. Bradleys Zitat aus 1997 stellt Woodward der Lage 2017 gegenüber: "Wir müssen uns der Realität stellen, dass eine Mehrheit der US-Amerikaner laut Umfragen die Medien ablehnt und ihnen misstraut."

"Sehr aggressive" Recherche

"Sehr aggressiv" hätten Bernstein und er bei Watergate recherchieren müssen, erinnert sich Woodward, abseits der Treffen mit Informant Mark Felt (dem damals ungenannten "Deep Throat") in Parkhäusern: Sie klopften unangemeldet bei potenziellen Auskunftspersonen oder riefen sie aus der Lobby an, um sie zu sprechen, und da drängte sich Carl Bernstein auch schon einmal in ein Taxi zum Anwalt Nixons und fuhr mit ihm bis nach New York. Die rasch geborgten 20 Dollar für die Rückfahrt hat Woodward übrigens nie von Bernstein zurückbekommen.

"Die Ungeduld und die Geschwindigkeit des Internet, aber auch unsere eigene Eile können das wichtigste Intrument des Journalismus blockieren", warnt Woodward: Unbeirrbar nach jenen zu suchen, die die Wahrheit kennen, die mitgemacht haben oder Augenzeugen waren, und nach den Dokumenten – und eben auch einmal in dieses Taxi zu springen.

Woodward: "Die Wahrheit kommt nach meiner Erfahrung schon ans Licht. Aber manchmal dauert das ewig." (red, 1.5.2017)