Katrin Döveling: "Das mediatisierte Gefühl der Schadenfreude, aber auch des Mitleid(en)s in vergemeinschafteten Gefühlskulturen ist rund um den Globus vorfindbar."

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Auch hier wird mitgelitten und geschämt: RTL-Show "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus".

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Eine Genrefamilie verschiedenster Ausprägungen des Reality-TV umzieht immer noch, und das seit Jahrzehnten, den mediatisierten Erdball: Castingshows, Auswandererdokus, Kuppelshows, Starmania, der hoffnungsvolle Hirte aus Hessen und die lustige Schwiegermutter aus Ludwigshafen. Sendungen dieser Art scheinen nicht abzuebben. Die geweckten Emotionen reichen von Empathie und Fremdscham bis zu Schadenfreude. Was überwiegt, mag im Auge des Betrachters liegen.

Bei genauerer Analyse zeigt sich jedoch: Das gemeinsame Mitfühlen, sich mitzuschämen, mitzulachen, mobilisiert und wird zudem normativ in Gruppen ausdiskutiert. Dabei erscheint das Lachen über Kandidaten oft nicht nur als sozial verträglich, sondern geradezu als cool. Die Gefühlskulturen der Rezipienten haben sich verändert. Fangemeinschaften verfolgen bei Pizza und Popcorn, wie Herr X nun schon zum x-ten Mal mit einem Geschenk danebenliegt und die fremde Frau seiner Träume daraufhin schnell wieder das Weite sucht.

Fremdscham, salonfähig

Mediatisierte Schadenfreude und Fremdscham sind salonfähig geworden. Sie sind sogar noch mehr. Sie sind Anreiz, sich vor dem Fernseher oder dem PC zu versammeln und genüsslich mitzufühlen, zu lachen und zu schmunzeln. Alles ist erlaubt, nein, sogar erwünscht.

Doch wovon reden wir eigentlich? Was passiert? Haben sich die Menschen verändert oder die Medienlandschaft oder sogar beides? Wie lassen sich solche Emotionen erklären?

Wenn eine Person für die Fehlhandlung verantwortlich gemacht wird, die zu einer von ihr selbst herbeigeführten unglücklichen Situation führt, bewirkt dies Schadenfreude, ganz besonders dann, wenn solches Missgeschick medial vor einem Millionenpublikum dargebotenen wird, ob vor dem Fernseher oder auf Plattformen wie Facebook und Co.

Aufwertung durch Schadenfreude

Hinzu kommt ein Nebeneffekt: Das Gefühl der Schadenfreude führt zur Aufwertung des Rezipienten, dem so etwas ja (natürlich) nie passieren würde. In der Psychologie ist hierzu bekannt, dass Bewertungen (sogenannte Appraisals) Emotionen auslösen. Menschen bewerten Reize wie die Neuartigkeit einer Situation oder des Protagonisten.

Diese Aspekte konnten wir in einer aktuellen Studie bestätigen. Dabei waren Fragen relevant wie: Wie stellt sich die Person im Fernsehen dar? Wie agiert und reagiert er/sie in der mediatisierten Schau? Und vor allem: Was denkt und was fühlt der Zuschauer und warum? Aufgezeigt wurde: Schadenfreude und Appraisal hängen eng zusammen. Emotionen sind das Resultat kognitiver Bewertungen (Appraisals). Sie heben hervor, dass Ereignisse, die die eigenen Bedürfnisse ("Concerns") befriedigen, zu positiven Emotionen führen, während solche, die diese möglicherweise schädigen oder gefährden, negative Emotionen auslösen.

Ablenkung von eigenen Schwächen

Also geht es doch nicht so sehr um die Gefühle der anderen, sondern um die eigenen? Das Belustigen und Zur-Schau-(und-Schande-)Stellen einer anderen Person mindert die eigenen Komplexe, führt und fördert die eigene Aufwertung und lenkt ab von eigenen Schwächen. Hier konnte ein direkter Bezug zur Social Comparison Theory aufgezeigt werden: Rezipienten vergleichen sich mit anderen, die sie im Blick auf ihre soziale Stellung "unter sich selbst" wahrnehmen, sodass das eigene Selbstwertgefühl verbessert wird.

In Interviews wurde das bestätigt: "Also, ich lache schon darüber, mit den anderen zum Beispiel, es ist halt lustig und macht Spaß und (...). Ach ... so was würden wir uns ja nicht antun. Dann ist's halt lustig."

Der Vergleich macht sicher(er)

Das offensichtliche Fehlverhalten einer anderen Person gibt also die Möglichkeit, die eigene Selbstbewertung zu schützen, zu stabilisieren oder gar zu verbessern. Die Missgeschicke der anderen belustigen, wenn man sich dadurch selbst besser fühlen kann.

Spannend ist auch, was die Rezeption in der Gruppe bewirkt. Es gilt moralische Grenzüberschreitungen zu bewerten. Die Rezeptionssituation lässt damit ein emotionales Muster erkennen, das ebenso Empathie als Bestandteil des Schamgefühls für andere (Fremdscham) zeigt. Geht das Lachen über andere zu weit, so wird durchaus auch einmal ermahnt und daran erinnert, ein wenig Selbstkritik zu üben. Die Gruppe als Emotionsregulator? Vielleicht gibt das ja Anlass zu verhaltenem Optimismus.

Globale Schadenfreude

Dem gegenüber stehen allerdings: Facebook-Mobbing, Hetzkampagnen, Klatsch und Tratsch auf Twitter und Co. Die unreflektierte Übernahme von Meinungen von Akteuren, die sich selbst inszenieren, die Angst vor Isolation und das Mitlaufen sind anthropologisch allzu bekannte Phänomene. Durch die grenzenlose digitale Vernetzung werden diese Entwicklungen, der grenzenlose Klatsch und Tratsch und damit auch die Schadenfreude nicht nur salonfähig, sondern (leider) global zu einem Trend, den es kritisch zu verfolgen gilt.

Das mediatisierte Gefühl der Schadenfreude, aber auch des Mitleid(en)s in vergemeinschafteten Gefühlskulturen ist rund um den Globus vorfindbar. Facebook, Skype, Whatsapp und Co – die Digitalisierung der Gefühle scheint keine Grenzen zu kennen und beschleunigt diesen Prozess zeit- und raumunabhängig. In Foren wird diskutiert, debattiert und sich munter grenzenlos und oft auch schamlos über eigentlich fremde Personen ausgetauscht. Mediatisierte, coole Schadenfreude goes global. (Katrin Döveling, 3.5.2017)