Julie Posetti (im Bild mit Marcus O'Donnel von der University of Wollongong in Australien).

Foto: Paul Jones UOW

Zum Welttag der Pressefreiheit am 3. Mai veröffentlichte die Unesco die Studie "Protecting Journalism Sources in the Digital Age". Autorin Julie Posetti über die Gefahren für Aufdecker und ihre Quellen, Forderungen an Regierungen und Gesetzgeber und Kritik an Österreich.

STANDARD: Zum Welttag der Pressefreiheit veröffentlicht die Unesco Ihre Studie über den Schutz journalistischer Quellen in 121 Ländern in einer digitalen Welt: Kann man sie so zusammenfassen: Investigativer Journalismus kann man auf die rote Liste bedrohter Arten setzen?

Posetti: Investigativer Journalismus braucht das Vertrauen von Informanten und Whistleblowern, dass Journalisten sie vor Identifikation und Repressionen schützen können. Bisher sorgten dafür Ethikregeln für Journalisten und Gesetze, dass Journalisten nicht dazu gezwungen werden können, ihre Quellen preiszugeben – außer in klar geregelten Ausnahmefällen. Aber die digitale Welt hat eine ganze Reihe von Bedrohungen für investigative Journalisten hervorgebracht, die sich auf vertrauliche Quellen stützen. Gesetze über den Quellenschutz – wo es sie überhaupt gab – werden mit Gesetzen über nationale Sicherheit und Terrorabwehr ausgehöhlt. Sie werden mit Massen- wie gezielter Überwachung unterminiert. Und dieser Quellenschutz wird mit verpflichtender Datenspeicherung und Druck auf Onlineprovider, Telekom-Gesellschaften und Social-Media-Plattformen zur Herausgabe von Daten infrage gestellt. Und wenn dann auch noch die Sammlung und Nutzung digitaler Daten durch Journalisten reguliert wird, hat sich der Schutz überholt.

STANDARD: Zugleich bringt diese digitale Welt exponenziell mehr geheim gehaltene Daten ans Licht – Leak für Leak, Papers für Papers. Wäre nicht etwa ein Skandal wie Watergate heute leichter aufgeflogen als in den 1970ern?

Posetti: Das sind die zwei Seiten dieser Medaille. Nie war es leichter als heute, Unmengen von Daten zu verbreiten. Diese digitale Welt kann auch ein goldenes Zeitalter für investigativen Journalismus bedeuten. Aber unsere Studie konzentriert sich auf die zumindest ebenso realen Risiken für den Journalismus. Das ist auch der Grund, warum Journalisten darüber reden, wieder in die dunklen Ecken von Parkhäusern zurückzukehren, wo einst Bob Woodward seinen Informanten "Deep Throat" getroffen hat: um nicht durch digitale Kommunikation über Mail oder Mobiltelefon überwacht zu werden.

STANDARD: Sie und Ihr Team haben für Ihre Studie die Lage in 121 Ländern analysiert: Gibt es positive Beispiele?

Posetti: Einige Staaten haben – über die vergangenen zehn Jahre – Gesetze zum Schutz von Quellen eingeführt, jedenfalls im analogen Kontext – etwa Kenia, Niger, Zimbabwe, die Slowakei und die Dominikanische Republik. Einige Länder haben den gesetzlichen Schutz des Redaktionsgeheimnisses ausgeweitet – etwa Australien und Mexiko, aber auch Island. Aber in vielen Ländern gibt es sehr breite Ausnahmeregeln im Zusammenhang mit nationaler Sicherheit, und mit Überwachungsmaßnahmen und Datenspeicherung werden diese Regeln umgangen.

STANDARD: Wo ist die Situation am schlimmsten?

Posetti: Das größte Risiko gehen Journalisten und ihre Quellen natürlich in jenen Staaten ein, wo ihnen Tod, Folter und Gefängnis drohen. Aber unsere Studie zeigt, dass der gesetzliche Schutz von Quellen in vielen Staaten mit einer sehr starken Tradition der Pressefreiheit in der digitalen Welt massiv ausgehöhlt wird, mit potenziell einschneidenden Folgen für den Journalismus – etwa in Frankreich, in den USA, in Großbritannien, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Ein ernster Anlass zur Sorge.

STANDARD: Österreich wird in Ihrer Studie mit seinem – später aufgehobenen – Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung und mit seinem Sicherheitspolizeigesetz von 2012 negativ erwähnt.

Posetti: Dass die Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt wurde, ist ermutigend. Aber – wie auch in einigen anderen europäischen Staaten – sehen wir auch hier schleichende Bedrohungen von Journalisten, die mit vertraulichen Quellen arbeiten. Wir müssen das im Auge behalten.

STANDARD: Österreich arbeitet noch immer an einem Informationsfreiheitsgesetz, das – mit vielen Ausnahmeregelungen – das noch immer bestehende Prinzip des Amtsgeheimnisses ablösen soll. Ist das im Jahr 2017 ein üblicher Zustand?

Posetti: Offenheit und Transparenz sind wichtige Grundprinzipien für die Demokratie. Es geht um das Recht der Öffentlichkeit auf Information – auch wenn vertrauliche Quellen und Whistleblower geheim gehaltene Informationen Journalisten zur Verfügung stellen.

STANDARD: Was sollten Regierungen und Gesetzgeber tun, um investigativen Journalismus zu ermöglichen?

Posetti: Ohne substanzielle Stärkung des gesetzlichen Schutzes und Beschränkungen von Überwachung und Datenspeicherung ist investigativer Journalismus auf der Basis vertraulicher Quellen in der digitalen Welt schwer aufrechtzuerhalten – und die Berichterstattung wird immer weniger auf potenzielle Quellen zurückgreifen können. Gesetze zum Quellenschutz müssen die Arbeit und Kommunikation von Journalisten mit vertraulichen Quellen umfassen – also Telefonate, Kontakte über Social Media, Messenger-Apps und Mails und die Berichte auf der Basis vertraulicher Quellen. Vorratsdatenspeicherung und Überwachung, Massenüberwachung wie gezielte, erfordern Transparenz und Rechenschaftspflicht der Behörden. Der Quellenschutz sollte nicht allein auf Journalisten abstellen – zu definieren wären auch journalistische Aktivitäten. Ein verstärkter Quellenschutz sollte ausdrücklich auch für Whistleblower gelten. Unsere Studie empfiehlt zudem, Journalisten und Bürgern Wissen und Fähigkeiten über sichere Kommunikation, sicheren Umgang mit der digitalen Welt zu vermitteln. Und, nicht zu vergessen: Digitale Sicherheit ist auch ein Kostenfaktor für Medien und Journalisten.

STANDARD: Warum sollten Politiker ein Interesse haben, investigativen Journalismus abzusichern oder zu fördern?

Posetti: Weil die Demokratie davon abhängt. Bürger müssen Vertrauen in öffentliche Institutionen haben, und dieses Vertrauen fußt auf der Erwartung, dass Journalisten und Whistleblower den Mächtigen auf die Finger schauen und sie zur Verantwortung ziehen, indem sie Korruption und Ungerechtigkeit ans Licht bringen. Ein gründlich untersuchter Staat ist ein gesunder Staat.

STANDARD: Und wenn die Regierungen das anders sehen und auf Ihre Forderungen nach verbessertem Quellenschutz pfeifen – können wir dann investigativen Journalismus in fünf Jahren vergessen?

Posetti: "Investigativer Journalismus ist wie Kakerlaken – nichts wird ihn umbringen können", hat mir die frühere US-Chefredakteurin des "Guardian", Janine Gibson, einmal gesagt. Wir werden einen Weg finden, um weiterzumachen. Aber im Bewusstsein eines hohen Risikos, mit Aufwand für Training und Technologie, etwa zur Verschlüsselung, und mit dem steten Drängen auf Gesetze, die Überwachung, Datenspeicherung und andere Maßnahmen transparent und kontrollierbar machen. (Harald Fidler, 3.5.2017)