Nirgendwo sind im Moment so viele Journalisten in Haft wie in der Türkei.

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Der türkische Journalist Ismail Eskin wird nicht in Wien dabei sein, wenn seine – inhaftierten – Kollegen geehrt werden. Eigentlich hat ihn der Presseclub Concordia zur heute, Mittwoch, stattfindenden Verleihung des Publizistikpreises für Presse- und Informationsfreiheit eingeladen, der für 2016 allen inhaftierten Journalisten in der Türkei zuerkannt wird. Eskin, Kurde aus der Stadt Diyarbakır, wurde vom Presseclub "anstelle seiner inhaftierten Kollegen" zur Verleihung eingeladen, und er wollte kommen – allerdings haben ihm die österreichischen Behörden Steine in den Weg gelegt.

Die österreichische Botschaft in Ankara beantwortete seinen Antrag auf ein Visum für elf Tage am 24. April mit den "Bedenken", die gegen eine Bewilligung sprächen, "es bestehen begründete Zweifel am Wahrheitsgehalt des Inhaltes der vorgelegten Belege und an der Glaubwürdigkeit der Angaben des Antragstellers", argumentierte man an der Botschaft. Zudem habe der Journalist "nicht den Nachweis erbracht, dass er über ausreichend Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts" für die Dauer seines Aufenthalts verfüge und "keine bzw. nicht ausreichende Nachweise (z. B. Besitz von Immobilien, KfZ, Geldmittel etc.) zur Wahrung der Verwurzelung im Heimatland" vorgewiesen.

Visumsantrag zurückgezogen

Allerdings: Der Presseclub Concordia kommt für alle Reise- und Aufenthaltskosten, Versicherungen und Taschengeld auf – worauf in einer Mail an den Zweiten Botschaftssekretär in Ankara am 26. April nochmals hingewiesen wurde. Dann aber war es zu spät. Eskin zog seinen Antrag auf ein Visum für Österreich zurück – um die weitreichenden Folgen einer Ablehnung zu verhindern.

Mit den negativen Folgen ihres Handelns haben Journalisten in Eskins Heimatland täglich zu kämpfen: "Journalismus ist kein Verbrechen", heißt ein Slogan, den türkische Reporter und Redakteure bei ihren Straßendemonstrationen auch im Ausnahmezustand hochhalten. Für 231 Journalisten, die in der Türkei seit dem Putsch und Gegenputsch vom Sommer 2016 festgenommen wurden, und hunderte andere, die auf freiem Fuß sind, aber wegen ihrer Artikel vor Gericht stehen, ist es das sehr wohl. Fast immer lautet der Vorwurf Propaganda für Terrororganisationen.

Wenig regierungskritische Zeitungen

Für unabhängig denkende Türken ist der morgendliche Blick auf den Zeitungsständer an der Trafik jedes Mal ernüchternd: Die Zahl der gedruckten regierungskritischen Zeitungen lässt sich mittlerweile an einer Hand abzählen: zwei kleine linksstehende Blätter – Evrensel und Birgün; dann Cumhuriyet, das Traditionsblatt der Republik, wo zwölf Kolumnisten, Chefredakteur und Karikaturist seit nun 184 Tagen in Unter suchungshaft sitzen. Schließlich das Massenblatt Hürriyet des Dogan-Konzerns, das umsichtig jeden Tag zwischen Freundlichkeiten und kritischen Berichten über die Regierung alterniert; ähnlich, aber noch sehr viel vorsichtiger die konservativ-islamische Tageszeitung Karar, die dem früheren, geschassten Premier Ahmet Davutoglu nahestand.

Im jüngsten Index von Reporter ohne Grenzen ist das EU-Beitrittsland Türkei um vier Plätze auf Platz 155 von 180 Staaten abgerutscht.

Russland auf Platz 148

Nur knapp davor, eingerahmt von Mexiko und Tadschikistan, reiht sich Russland auf Rang 148 ein. Im Vorjahr war die staatliche Kontrolle der unabhängigen Medien verstärkt worden. Speziell die Medienholding RBK des Oligarchen und Ex-Präsidentschaftskandidaten Michail Prochorow geriet massiv unter Druck. Im Frühjahr hatte sie über die Panama Papers berichtet, die das milliardenschwere Offshorebusiness eines der engsten Freunde Wladimir Putins offenlegten.

"Es ist eine doppelte Sperrlinie, die sich niemand mehr die Mühe macht zu verbergen. Alle wissen: Über Putin, seine Familie und seinen engsten Kreis zu schreiben ist verboten", sagte die Pressesekretärin der unabhängigen Journalistengewerkschaft, Alexandrina Jelagina. Weitere Tabuthemen sind ihren Worten nach die russisch-orthodoxe Kirche und Rosneft-Chef Igor Setschin.

Tote Journalisten

Während Setschin RBK mit finanziell schmerzhaften Verleumdungsklagen überhäufte, führte der informelle Druck aus dem Kreml zum kompletten Austausch der Führungsriege beim Sender und der Kündigung von dutzenden Journalisten.

Auch die persönliche Sicherheit von Journalisten im Land ist nicht gewährleistet. Erst im März wurde der unabhängige Journalist Nikolai Andruschenko bei einem Überfall totgeprügelt. Die Tat hängt vermutlich mit seiner beruflichen Tätigkeit zusammen. Bei der Aufklärung anderer Fälle wie dem Überfall auf eine Gruppe von Journalisten und Bürgerrechtlern an der Grenze zu Tschetschenien vor einem Jahr oder der Suche nach den Hintermännern der Ermordung von Anna Politkowskaja (2006), Natalja Estemirowa (2009), Juri Schtschekotschichin (2003) und Wladislaw Listjew (1995) gibt es bisher keine Fortschritte. (ab, bbl, gra, mab, 3.5.2017)