Im Radio-Amateur-Klub der TU Wien wird am 1. Mai einen Tag lang "um die Wette gefunkt". Ziel ist, möglichst viele Verbindungen in die 95 österreichischen Bezirke herzustellen.

Foto: STANDARD/Corn

Bei Erdbeben und anderen Katastrophenfällen kann der Sprechfunk über Kurzwelle zur rettenden Technologie werden.

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Der Screenshot zeigt, welche Bezirke von der Amateurfunkstation OE1XTU wie erreicht wurden.

Wien – Rauschen, Fiepen, sirenenhafte Tonfolgen. Unter den Geräuschen, die durch den Kopfhörer auf Stefan Pratschner einprasseln, sind aber auch immer wieder verzerrte Wortbrocken auf Deutsch, Englisch, Französisch zu erhaschen. Und manchmal taucht aus dem Geräuschmischmasch plötzlich eine klare Stimme auf. Die sagt dann zum Beispiel "OE3REC" und ist aus Gänserndorf.

Pratschner spricht selbst immer wieder kryptische Wort-, Buchstaben- und Ziffernfolgen ins Mikro: "CQ Österreich, CQ Österreich, hier ist OE1XTU." Es ist ein "allgemeiner Anruf" an die Funkamateure da draußen. Pratschner meldet sich dabei mit dem Rufzeichen OE1XTU. Es signalisiert, dass er hier, in dem kleinen Kämmerchen im sechsten Stock des alten TU-Gebäudes in der Gußhausstraße, für den Radio-Amateur-Klub der TU Wien funkt.

"Vielen Dank! Hier ist OE1XTU, 59 für dich aus Whiskey Charlie", antwortet Pratschner auf die Kennung aus Gänserndorf. Damit sagt er, dass er aus der Wiener City sein Gegenüber mit höchster Qualität fünf und höchster Feldstärke neun empfängt. Auch die Gegenstation gibt dieselben Daten durch: "Danke, 59 für dich aus Golf Foxtrot, 73". Die 73 ist die Funkversion für "Herzliche Grüße".

Schwer verständliche Funksprache

Amateurfunk ist beim Erstkontakt – im wahrsten Sinne – schwer zu verstehen: Unmengen an Abkürzungen, leise Stimmen im Rauschen. Für Pratschner, Doktorand am Institut für Telekommunikation der TU Wien, und seine Kollegen des Amateur-Klubs, die sich an diesem 1. Mai bereits um sieben Uhr früh vor dem mit allerlei Funkequipment beladenen Labortisch versammelt haben, sind die Ziffern- und Buchstabenfolgen aber zur selbstverständlichen Sprache geworden. Über Funk würden sie sich – egal wie alt sie sind – als OM, Old Men, ansprechen. Eine Frau ist dagegen in jedem Fall eine YL, Young Lady. Viele der Kürzel entstanden bereits in Zeiten, als das Morsen noch die gängigste Form der elektronischen Telekommunikation war.

Der 1. Mai ist für die Funkamateure ein besonderer Tag. Im Rahmen einer landesweiten Not- und Katastrophenfunkübung sitzen Gleichgesinnte im ganzen Land vor ihren Geräten und versuchen, untereinander möglichst viele geglückte Kontakte herzustellen. Das Ziel: alle 95 österreichischen Bezirke zu erreichen. Auch Stationen des Bundesheeres, der Blaulichtorganisationen oder Landeswarnzentralen melden sich. Die Übung ist gleichzeitig aber auch ein Wettbewerb für Sprechfunk im Kurzwellenbereich, bei dem nach Auswertung der Logbücher Sieger gekürt werden.

"Der Bezirk Jennersdorf im Burgenland hat sich heute als erster gemeldet. Ein Funkamateur war dort mit einer portablen Anlage unterwegs", erklärt Dieter Kritzer vom Österreichischen Versuchssenderverband (ÖVSV), der den Wettbewerb organisiert. In den ersten drei Stunden seien 106 Verbindungen zustande gekommen, über 50 Bezirke wurden bereits erreicht. Am Ende des Tages werden es immerhin 70 sein. Etwa 6000 lizenzierte Amateure gibt es laut Kritzer, der in seinem Brotberuf die WLAN-Technik für die ÖBB-Railjets organisiert, in Österreich, weltweit sollen es bis zu drei Millionen sein.

Katastrophenfunk

Im Fall von Katastrophen und des Ausfalls sonstiger Kommunikationsinfrastruktur soll das Netz aus Funkamateuren schnell einen Lagebericht vom Ort des Geschehens liefern. Nach den Erdbeben von L'Aquila und dem großen Tsunami 2004 in Südostasien waren sie es, die in den betroffenen Gebieten erste Kontakte in die Außenwelt herstellten. Nach dem Lawinenunglück in Galtür 1999 wurde der Funkkontakt mangels Telefonverbindungen sogar mehrere Tage lang aufrechterhalten.

Der frühe Beginn der Übung um sieben Uhr hat einen Grund: Der Sonnenstand beeinflusst genauso wie Jahreszeiten oder Sonnenflecken die Möglichkeiten der Funkübertragung. "Wir könnten aufgrund der Erdkrümmung Vorarlberg von Wien aus nicht direkt erreichen", erklärt Christoph Mecklenbräuker, Funkamateur und Professor am Institut für Telekommunikation der TU Wien. Man benutzt deshalb bestimmte Wellenlängen, die in der Ionosphäre, 300 Kilometer über dem Erdboden, reflektiert werden und so selbst weit entfernte Weltgegenden erreichen können. "Wir verwenden in den Nachtstunden eine Wellenlänge von 80 Metern. Mit steigender Intensität der Sonne wird diese Frequenz aber unbrauchbar, dann wechseln wir auf kürzere Wellenlängen", sagt Mecklenbräuker.

Es waren Funkamateure, die diesen Reflexionseffekt entdeckt haben, nachdem man ihnen in den 1920er-Jahren die für den globalen Verkehr vermeintlich unbrauchbaren Frequenzen überlassen hatte. Treffen die Funkwellen in der Ionosphäre auf durch die Strahlung aus dem All frei gewordene Elektronen, geben sie Energie in Form von Wellen ab, die dann auf dem Boden als Reflexion erscheinen, empfangen und dekodiert werden können.

Der Mond als Funkspiegel

"Der offizielle Funkbetrieb hat sich dann wieder viele Frequenzen von den Amateuren zurückgeholt", blickt der Funkexperte zurück. "Selbst heute wird diese Funktechnik etwa noch bei Interkontinentalflügen genutzt." Das Reflexionsprinzip ist nicht nur auf die Nutzung atmosphärischer Schichten beschränkt. Vor den ersten Satelliten in den 1950er-Jahren wurde sogar der Mond als "Spiegel" verwendet, um von Los Angeles aus Hawaii per Funk zu erreichen.

Der Fortschritt der Technik hat vielfältige Möglichkeiten gebracht, Informationen in elektromagnetischer Strahlung zu kodieren. In Zeiten von Digital-TV, Smartphones und WLAN werden sie in vielfacher Weise kommerziell genutzt. Der Amateurfunk blieb aber Spiel- und Experimentierfeld, auch für durchaus zukunftsweisende Bereiche. "Im Amateurfunk werden etwa bereits Kodierungsverfahren genutzt, die Teil des kommenden 5G-Mobilfunkstandards sein werden", erläutert Mecklenbräuker.

Lowtech-Sender

Im Katastrophenfall ist dagegen eher das Gegenteil von Hightech gefragt. Mecklenbräuker zeigt ein improvisiertes Gerät aus einem Draht am Fenster, einer Neun-Volt-Batterie und einer kleinen Platine mit zwei Transistoren, die man "zur Not auch aus einem Radio auslöten" kann. Damit könne man ganz Europa erreichen – vorausgesetzt man beherrscht das Morsealphabet. Doch auch der Sprechfunk kommt mit im Notfall schnell organisierbarer Technik und einer Autobatterie als Energiequelle aus. Damit könne man sich dann über komplexere Funktechnik verständigen, mit der man etwa Kartenmaterial oder Listen benötigter Blutreserven transferieren kann.

Im Alltag besteht natürlich die Möglichkeit, dass man den Behördenfunk kreuzt, was nicht strafbar ist, wenn es versehentlich passiert. "Als Funkamateur ist man automatisch Geheimnisträger. Wir dürfen aber Dritten nichts mitteilen", betont Mecklenbräuker augenzwinkernd.

Die Anbindung des Radio-Klubs an die TU verschränkt den Amateurbereich mit der akademischen Lehre. Doch auch in Schulen gibt es bereits Ambitionen im Bereich Funktechnik. Im Rahmen des ARISS-Projekts konnten etwa Grazer Gymnasiasten mit der Besatzung der Internationalen Raumstation ISS sprechen. Dennoch gibt es in Österreich auch Funkmuffel. Kritzer kennt die Bezirke, die für Funkamateure selten erreichbar sind: "In Hermagor in Kärnten sowie in Landeck oder Reutte in Tirol erreicht man selten jemanden. Physikalische Gründe gibt es dafür allerdings nicht." (Alois Pumhösel, 3.5.2017)