Sichtlich angespannt: Die Regierungskoordinatoren Mahrer (ÖVP) und Drozda (SPÖ), gefragt zum aktuellen Koalitionsklima.

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Wien – Rund um den Ministerrat am Mittwoch setzte es eine spitze Bemerkung nach der anderen zwischen den Koalitionspartnern. Der Anlass für die Sticheleien zwischen Rot und Schwarz: Die 58 Seiten starke Broschüre der ÖVP-Zentrale im Sowjetstil, in der die von Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern anvisierten Reformen für die Mittelschicht und eine mögliche rot-grüne Koalition verrissen werden.

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Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) erklärte zu dem mit Hammer und Sichel illustrierten Machwerk: Er wäre "froh", wenn die ÖVP die Energie" in andere Bereiche stecken würde, anstatt derartige Broschüren zu verfassen – etwa in die Beschäftigungsoffensive für ältere Arbeitslose, "Aktion 20.000" genannt.

Von Neuwahlen wollte der Minister dennoch nichts wissen, weil die SPÖ bis Herbst 2018 arbeiten möchte – und in der ÖVP gäbe es bis auf "einige Grüppchen" auch "Vernünftige, mit denen man arbeiten" könne. In Anspielung auf die schwarze Zentrale hielt Stöger aber fest: Dort "haben manche zu viel Zeit".

Infrastrukturminister Jörg Leichtfried (SPÖ) spottete angesichts der jüngsten Provokation des Regierungspartners: "Die Spindoktoren in der Lichtenfelsgasse (Sitz der ÖVP, Anm.) haben sich selbst überdribbelt."

Mühsames Regieren

Der Großteil der schwarzen Ministerriege wich den Mikrofonen der Journalisten lieber gekonnt aus. Stattdessen wurde Klubchef Reinhold Lopatka vorgeschickt, der einen vorzeitigen Urnengang ebenfalls in Abrede stellte, denn: "Wahlkampf sieht anders aus."

Im nächsten Atemzug nutzte er jedoch wortreich die Gelegenheit, um über das rot-grün regierte Wien herzuziehen. Dazu deklinierte Lopatka die Zahlen zum hohen Schuldenstand der Bundeshauptstadt herunter, ebenso wie zu den explodierenden Kosten für die Mindestsicherung. Sein Fazit, das stark an die apodiktischen Sätze in der Parteibroschüre gemahnte: "Rot-Grün ist nicht gut – weder in Wien noch im Bund."

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In der Regierungssitzung selbst steckten die Koalitionäre bei drei schon für April angesagte Reformen fest: Bei der Abfederung der kalten Progression, bei der Forschungsprämie und eben bei der "Aktion 20.000". Immerhin die Strafgesetznovelle gegen Reichsbürger & Co. sowie die "Begleitlegistik" für den Beschäftigungsbonus wurden unter Dach und Fach gebracht.

Beim Pressefoyer der Regierungskoordinatoren gingen die Animositäten dann munter weiter. Obwohl Thomas Drozda (SPÖ) die umstrittene Broschüre zuerst nur als Kulturminister kommentieren wollte: "Ich muss sagen, das Cover (holzschnittartige Darstellung von Kern, Anm.) ist ein interessantes Beispiel für Soz-Art", sagte er. Hintergrund: Diese Kunstrichtung entstand Anfang der 1970er-Jahre – und gilt als sowjetisches Pendant zur Pop-Art.

Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP) hingegen wollte die Aufregung über das Elaborat nicht verstehen – noch dazu, wo die rote Parteizentrale offen ihre Präferenz für eine rot-grün-pinke Koalition eingestanden habe, denn da habe es auch "eine gewisse Enttäuschung von unserer Seite" gegeben. Drozdas trockener Einwand: "Die einen machen da einen Plan A und die anderen Broschüren!"

Kopfschütteln im Westen

Die wohl aber größte Genugtuung für die SPÖ: Die meisten Landesparteien der ÖVP weigern sich, die Broschüre, die vor allem als "Argumentationshilfe" gegen Kern gedacht ist, unter die Leute zu bringen. Denn aus Vorarlberg, Tirol, Salzburg, Oberösterreich, Kärnten, aus der Steiermark und aus dem Burgenland hieß es am Mittwoch, man habe kein Interesse an einer Verteilung.

Für Kopfschütteln sorgt die Broschüre übrigens auch in Niederösterreich. Doch in Johanna Mikl-Leitners Reich wollte sich dazu vorerst niemand offiziell äußern. Für Wiens Landesparteichef Gernot Blümel sind "die Warnungen der Bundespartei" dagegen absolut gerechtfertigt, weil: "Wir sind täglich mit den Trümmern rot-grüner Politik konfrontiert."

Verlosung von Shirts mit Kern-Konterfei

Quasi als Revanche verlosen die Sozialdemokraten am Donnerstagabend via Facebook zehn T-Shirts mit dem Soz-Art-Konterfei von Kern. Für einen Gewinn muss man angeben, zu welchem Anlass man das Leiberl tragen will. Übrigens nicht darauf zu sehen: Hammer und Sichel. (Nina Weißensteiner, 3.5.2017)