Die "notorischen" Äußerungen Van der Bellens fanden in einem Kontext statt: Bei einer Veranstaltung beklagte eine junge Muslimin, dass es "wegen" des Kopftuchs immer häufiger zu verbalen und manchmal auch physischen Übergriffen kommt. In diesem Kontext sprach VdB seine hypothetische Empfehlung aus. Er lag dabei ganz auf der Linie von zwar nicht gleichen, aber doch vergleichbaren Vorfällen andernorts. So kam es 2012 in Berlin zu einem Angriff auf einen Kippa tragenden Rabbiner, worauf sich als Protest eine Demo formierte, bei der die Teilnehmer ostentativ eine Kippa trugen. Auf der gleichen Linie lag eine der schönsten Episoden des französischen Mai 1968, nachdem Daniel Cohn-Bendit als "deutscher Jude" stigmatisiert worden war: Daraufhin riefen Hunderttausende das berühmte "Nous sommes tous des Juifs allemands" (Wir sind alle deutsche Juden).

Und der Vergleich mit dem Aufruf des dänischen Königs an die Bevölkerung als Protest gegen die antisemitische Nazi-Okkupation, den gelben Stern zu tragen, sollte nicht, wie böswillig unterstellt wurde, auf eine Gleichsetzung der Lage von Muslimen heute mit den Juden in Dritten Reich hinauslaufen, sondern eben auf eine bewundernswerte Form der Solidarisierung hinweisen.

Auch eine Befürwortung des Kopftuchs hineinzuinterpretieren geht daneben. Ausdrücklich betonte VdB das Recht von Frauen, ihre Bekleidung selbst zu wählen. Und das Kopftuch in jedem Fall als "Ausdruck des politischen Islam" zu bezeichnen deutet weniger auf eine religionskritische Haltung als auf eine Charakterschwäche der Denunzianten hin: ihre Unfähigkeit der Akzeptanz von Differenz. (John Bunzl, 3.5.2017)