Hanna Kamrat fordert ein Recht auf persönliche Assistenz für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung, denn derzeit eröffnet sich diese Option in Österreich – wenn – nur bei körperlicher Behinderung.

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Wien – Jeder solle darüber nachdenken können, wie er sein Leben verändern wolle, "ohne Angst zu haben, dass es schiefgeht", sagt Hanna Kamrat, 49 Jahre alt, dunkler Kurzhaarschnitt, helle Stimme. Sie leitet seit Februar den Selbstvertretungsbeirat der Lebenshilfe. Die Organisation gibt es heuer seit 50, den Selbstvertretungsbeirat seit zehn Jahren. Kamrat, Spastikerin und seit ihrem sechsten Jahr im Rollstuhl, wird zudem ab August Vizepräsidentin der Lebenshilfe – Funktionen, die sie ehrenamtlich ausübt.

Als Leiterin des Beirats, der Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung in der Organisation und nach außen vertritt, trifft die Bad Ischlerin viermal im Jahr die Selbstvertreter aller Landesorganisationen der Lebenshilfe, um anstehende Themen zu besprechen. Besonders drängend derzeit? "Persönliche Assistenz für jeden", führt Kamrat im STANDARD-Gespräch aus.

Bundesweiter Rechtsanspruch gefordert

Die Lebenshilfe fordert einen bundesweiten Rechtsanspruch darauf und präsentierte dazu am Mittwoch in Wien bei einer Pressekonferenz ein Dialogpapier. Es solle als Diskussionsgrundlage für konkrete Schritte in Richtung umfassende Inklusion dienen.

Menschen mit körperlicher Behinderung können in Österreich Hilfe durch persönliche Assistenten für Alltagstätigkeiten beantragen. Die Lebenshilfe – die an rund 500 Standorten circa 11.000 Menschen betreut – geht davon aus, dass rund 1000 Menschen in Österreich derzeit mit persönlicher Assistenz zu Hause leben. Jedes Bundesland regelt dies anders. Allen ist gemein: In der Regel haben nur Menschen mit körperlicher Behinderung Anspruch auf diese Art der Betreuung, jene mit intellektueller Beeinträchtigung nicht – in Salzburg läuft derzeit für zwei Jahre ein erster Pilotversuch mit rund zehn Teilnehmern.

Geld vom Land reicht nicht

Kamrats "Glück unter Anführungsstrichen", wie sie sagt, sei, dass ihre körperliche Behinderung stärker sei und sie daher Assistenz bekommt. Das Land Oberösterreich bezahlt ihr ein Stundenkontingent – das allerdings nicht ausreicht. "Würden mich meine Brüder nicht unterstützen, könnte ich es mir nicht leisten", sagt sie. Nach dem Tod ihrer Eltern habe sie nicht mehr zurück ins Internat wollen. Seither habe sie für ein selbstbestimmtes, individuelles Leben gekämpft.

"Machen eigentlich alles"

Ihre Assistenten machen "vom Aufstehen bis zum Niederlegen eigentlich alles", sagt Kamrat, die auf Pflegestufe fünf von sieben eingestuft wurde. "Ich bin froh, dass ich in Bad Ischl wohnen und meinen Freundeskreis ausbauen kann."

Menschen mit körperlicher Behinderung wird zugetraut, Assistenten anzuleiten, Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung wird dies in manchem Bundesland geradezu abgesprochen. Kamrat kann das nicht nachvollziehen: "Die wissen genauso, was sie einkaufen wollen, was sie kochen wollen, sie brauchen nur größere Unterstützung."

NGOs müssen sich ändern

Lebenshilfe-Generalsekretär Albert Brandstätter zufolge sollte es zusätzlich zu persönlichen Assistenzen auch Unterstützungspersonen aus dem Umfeld geben, um Entscheidungen bestmöglich treffen zu können. Durch die Entwicklung weg von institutionellen Einrichtungen seien Organisationen wie die Lebenshilfe in "einem Veränderungsprozess, was unsere Rolle, unser Selbstverständnis betrifft", sagt Brandstätter. Ziel müsse sein, die Wahlmöglichkeit zu schaffen.

Kamrat arbeitet seit 20 Jahren bei der Lebenshilfe. In Bad Aussee ist sie zudem auf Taschengeldbasis in einer Werkstatt tätig und in Altaussee ehrenamtlich in einem Kindergarten. Menschen mit über 50-prozentiger Behinderung kommen kaum im ersten Arbeitsmarkt unter. In Werkstätten arbeiten sie auf Taschengeldbasis, erhalten dafür 50 bis 150 Euro im Monat, sind nicht sozial- und pensionsversichert – was rund 21.000 Menschen in Österreich betrifft. Auch das ist ein Zustand, den Frau Kamrat gern verändern würde. (Gudrun Springer, 3.5.2017)